Der komplette Artikel aus OLDTIMER MARKT 08/2019 – Teil 7

Im 300-Euro-Yugo nach Serbien

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Teil 7: Dragan Nikolic – Der schnellste Mann Serbiens

Besuchen wir lieber Dragan Nikolic, den schnellsten Einwohner Kragujevacs. Dragan war einst Rennfahrer des Zastava-Werksteams. Sicher hat er ein paar wertvolle Tipps für uns, wie wir die Rückreisezeit halbieren können. In seinem Garten steht der hochglanzpolierte Alltagsschlitten des 59-Jährigen: Ein Yugo Skala 55 mit nur 9071 Kilometern auf der Uhr. Das Namenschaos bei Zastava ist nicht immer ganz einfach nachzuvollziehen. Um den 1971 eingeführten Zastava 101 bei begrenzten Mitteln irgendwie frisch zu halten, griffen die Serben in ihrer Verzweiflung halt in die Alias-Kiste. Von 1998 an hieß das Siebziger-Jahre-Auto Yugo Skala, ehe die Produktion erst 2008 zum Erliegen kam. Dragans Exemplar sieht aus wie ein topgepflegter Oldtimer, ist aber mit Baujahr 2005 das, was uns gewiefte Gebrauchtwagenhändler hierzulande auf Oldtimermessen als Waittimer verkaufen wollen würden… Bei einem Bier in seiner Stammkneipe erzählt uns Dragan, wie er am 3. Juni 1984 sein erstes Rennen mit einem Zastava 850 bestritt. 1988 wurde er Werksfahrer, ein Jahr darauf gewann er die Meisterschaft des jugoslawischen Zastava-Clubs. Sein größter Triumph hingegen war der Sieg beim Bergrennen 1994 in Lovćen (Montenegro) mit einem hochgezüchteten Yugo, ehe das Team 1996 durch die wirtschaftliche Schieflage Zastavas zerfiel. Heute handelt der gut gelaunte Serbe mit Zastava-Teilen, wozu er mit seiner Frau jedes Wochenende einen anderen Autoteile-Wochenmarkt in Serbien anfährt. Wir lassen uns abschließend von Dragan Nikolic unsere Motorhaube signieren, beim Abschiedsfoto ist es ihm wichtig, dass unser deutsches Kennzeichen zu sehen ist. Als wir den Motor anlassen und gerade losfahren wollen, signalisiert er uns, dass er uns so nicht fahren lässt. Er besteht darauf, uns den Vergaser gescheit einzustellen. Zehn Minuten später ist die Leerlaufcharakteristik plötzlich nicht mehr die eines Ferrari 312P, den jemand am Nordpol angelassen hat. Stabil im Standgas, schüttelt sich nun nichts mehr, nur die Keilriemen singen leise ihr Lied von Freiheit und zu wenig Spannung im Leben. Dragan ist nicht nur der netteste Mensch den wir auf dieser Reise treffen, er ist auch ein Heiler. Von jetzt auf gleich gleiten wir durch den Stadtverkehr Kragujevacs wie mit einem Oberklasseschlitten. Dragan hat im Handumdrehen aus dem 55 einen A8 gemacht. Manche Dinge schätzt man erst, wenn man sie wieder hat. Erstmals seit dem Kauf vor anderthalb Jahren geht unser Yugo nicht mehr an der Ampel aus. Sasa hat in Bosnien-Herzegowina noch ein Mofa stehen. Deshalb wollen wir bei Rača die Grenze überqueren. Die Grenzer auf dem Balkan sind ja locker drauf. „Was wollen Sie in Bosnien?“, werden wir am Schlagbaum gefragt. „Mit Sasas Tomos A3 MS eine Runde durch Brčko drehen“, antworte ich wahrheitsgemäß und könnte mir in diesem Moment selber dafür eine runterhauen. „Mofa fahren…?“, zieht der aggressive Uniformierte eine Augenbraue hoch. Der Balkan entzaubert sich gerade an der bosnischen Grenze von selbst. „Und was sind das für Teile da auf der Rückbank, die sich in den Oberkörper Ihres Kollegen bohren?“ „Zastava-Ersatzteile.“ „Aussteigen! Alle!“ Die Autorität verlässt ihre Glaskiste und erklärt uns, dass die Einfuhr von Zastava-Ersatzteilen verboten sei. „Ist Lada denn erlaubt?“, frage ich, ahnend, dass ich die Situation damit nicht deeskalieren kann. Im letzten Moment kommt ein Zöllner dazu und löst den Grenzer ab. Er sieht um Welten freundlicher aus, hat genauso wenig Lust wie wir, im Regen zu stehen. „Kommt, packt den Mist wieder ein. Was soll ich denn dafür an Zoll berechnen? Gute Weiterfahrt!“ Wegen einer Mofa-Probefahrt wären wir fast in der demilitarisierten Zone zwischen zwei Ländern, die sich seit zwanzig Jahren nicht leiden können, hängengeblieben. Nur schnell weg hier. An der Landstraße nach Brčko fällt uns kollektiv die Kinnlade runter. Die Autowaschanlage Lord ist noch in Betrieb, sieht jedoch aus wie nach einem Luftangriff. Kunden sollen sich in einem rostigen Überseecontainer anmelden. Als wir das „Büro“ betreten, fällt ein Bosnier betrunken vom Stuhl, an der Wand hängen hunderte Raubkopien von Erwachsenenunterhaltungs-DVDs zum Kauf, auf dem Verkaufstresen eine große Packung Wurst, ein voller Aschenbecher und ein EC-Kartenlesegerät. Für umgerechnet drei Euro buchen wir eine Außenwäsche für unser Schmuckstück, damit endlich mal der von uns mitgebrachte pfälzische Mutterboden für eine gepflegte Rückreise runtergekärchert wird.

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Teil 1: Balkanroute

Teil 2: Vienna Calling

Teil 3: Geldgeschäfte in Subotica

Teil 4: Sperrgut-Shopping in Belgrad

Teil 5: Stadtrundfahrten zum Selberschieben

Teil 6: Serbische Whistleblower und Selbstgebrannter

Teil 7: Der schnellste Mann Serbiens

Teil 8: Grenzstress in Bosnien

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