Im 300-Euro-Yugo nach Serbien – die komplette Tour
- 30. Juli 2019
- Norman Gocke , Bilder: Volker Rost
Mit einer überwältigenden Mehrheit votierten Sie dafür, dass wir mit unserem Yugo in seine Heimatstadt Kragujevac fahren. Über 1500 Kilometer einfache Strecke in einer Keksdose. Naja, andere Menschen zahlen viel Geld, um Schmerzen zu erleben ... Lesen Sie hier den gesamten Artikel aus OLDTIMER MARKT 08/2019!
Teil 1: Balkanroute
BAM! Nach den ersten 190 gefahrenen Kilometern sind wir gerade so schön in einen trance-ähnlichen Zustand gerüttelt worden, als uns ein lauter Knall im Radkasten hinten links wieder zu Bewusstsein kommen lässt. Welches Teil ist denn diesmal abgefallen? Der Motor läuft weiterhin wie ein serbisches Uhrwerk, die Instrumente melden auch nichts Ungewöhnliches, aber sie funktionieren sowieso nicht. Volker mag Amischlitten, traute dem Höhepunkt serbo-kroatischer Technologie von vorneherein nicht, und sieht sich bestätigt. Sasa auf der Rückbank fährt seit zehn Jahren Yugo und geht dementsprechend direkt vom Schlimmsten aus. Positiv denken! Beim letzten Mal hat es der Yugo nur 40 Kilometer von Mainz nach Kettenheim geschafft, ehe ein Auslassventil verglüht war. Diesmal haben wir es bereits von Stetten bis Satteldorf geschafft, ehe das erste Bauteil aufgegeben hat. An Säule 6 der Autohof-Tankstelle angehalten, wird schnell klar, was da fünf lautstarke Ehrenrunden im Radkasten gedreht hatte, ehe es auf die A6 entlassen wurde: Der Handbremshebel lässt sich waagerecht hochreißen, weil sich hinten links der Verbindungsbolzen des Handbremsseils an der Bremsbacke verabschiedet hat. Das Sortiment des Autohofs besteht aus selbstklebenden Weißkopfseeadlermotiven aus PVC und Glitzernummernschildern für LKW-fahrende Werners und Günthers, nur Tüddeldraht oder strapazierfähige Kabelbinder gibt es nicht. Wir tanken 16 Liter Super und entscheiden uns für einen Unterlegkeil. Dann fahren wir halt ohne Parkbremse weiter. Nostalgische Gefühle kommen auf: Die Handbremse war auch bei der Abholung vor anderthalb Jahren in Herford defekt. Weil auch wir moderne Menschen sein wollen, posten wir den kleinen Zwischenfall auf der OLDTIMER-MARKT-Facebook-Seite und setzen unsere Expedition weiter in Richtung Süden fort.
Während wir weiter auf Nürnberg zu eiern, die Sonnenblende alle paar Kilometer vors Fahrergesicht fällt und die sich ihrer Beflockung entledigenden Türpappen zu Niesanfällen bei der allmählich zustaubenden Besatzung führen, meldet sich Boris Pljevaljcic (im weiteren Verlauf aus Effizienzgründen Boris genannt) auf unseren Facebook-Eintrag. Boris ist Zastava-Schrauber und seine Halle befindet sich in Herzogenaurach. Da wir aus Glaubensgründen und wegen des Kofferraums in Briefschlitzformat keine Ersatzteile und lediglich das serienmäßige Bordwerkzeug mitgenommen haben (welches übrigens gut sortiert und qualitativ ganz ok ist), kommen wir der Einladung zu einem ersten Boxenstopp gerne nach. Und eins vorweg: Wäre die ganze Welt so irre wie Boris, es gäbe keine Probleme mehr. Boris ist einer von der seltenen Sorte Mensch, der das Leben nicht ganz so ernst nimmt und deshalb weiter gekommen ist als die meisten Verbissenen. Während wir eine Gewindeschraube mit Kontermutter am Handbremsseil anbringen, erzählt er uns von seinem Yugo-Kauf in Bremen. Als er mit dem frischen Fang auf dem Trailer gerade zur Autobahn wollte, nahm ihm jemand noch innerorts die Vorfahrt und rauschte ihm ins Zugfahrzeug. Einer der herbeigerufenen Polizeibeamten guckte sich bei der Unfallaufnahme seinen Yugo an: „So ein Pech. Erst so einen Schrott gekauft und jetzt auch noch einen Unfall.“ „Das ist ein Klassiker“, entgegnete Boris. Der Beamte: „Jürgen, hol‘ mal den Alkoholtester!“ Als Zugabe gibt es noch die Geschichte, wie er einst auf dem Balkan Ersatzteile nur im Tausch gegen vier Haarschneidemaschinen von Panasonic bekam. Bevor wir uns verabschieden, sichten wir noch seine gut sortierte Yugo-Devotionalien-Sammlung. Neben großartig humoristisch geschriebenen, sorgfältig abgehefteten Reklamations-Briefen völlig desillusionierter Kunden mit Zastava Deutschland, besitzt Boris einen Yugo-Briefbeschwerer aus Marmor, der einst im Büro des US-Generalimporteurs Malcolm Bricklin gestanden haben soll. Die Inschrift verwirrt: „Yugo – Auf der Straße zurück zum gesunden Verstand“. Unkritische Mitmenschen würden das so stehen lassen, wir müssen nun aber wirklich los. Beim Zuwerfen der Türen panieren wir uns erneut mit Türpappenbeflockung, die Sonnenblende fällt auf die Stirn, der Motor startet auffallend unwillig. Doch wir sind im Freiheitstaumel. Niemand wird uns aufhalten. Auf der A3 läuft unser kleiner 1,1-Liter-Motor spürbar zu fett, wie wir auch bei einer kurzen Rast vor unserer Österreich-Etappe in Schierling am verrußten Heckblech erkennen. Aber auf gut Glück bei einbrechender Dämmerung an einem ausgehammelten Vergaser rummanipulieren, in der Gefahr, dass die Kiste danach wieder so mager läuft, dass Motorinnereien verglühen? Never touch a semi-running system! Wir einigen uns darauf, alle zwei Stunden die Konsistenz und den Geruch des Motoröls zu kontrollieren und rollen weiterhin Richtung Alpenrepublik. Je weiter wir die A3 in südöstliche Richtung entlangschleichen, desto mehr Sattelzüge und Transporter blenden kurz auf, wenn wir uns geringfügig schneller auf der linken Spur an ihnen vorbeipressen. Schön, wie sich Serben, Bosnier und Kroaten noch heute freuen, DAS Auto des Balkans auf einer deutschen Autobahn zu sehen. Immer wenn die Hunderterstelle des Kilometerzählers eine Zahl weiterdreht, knarzt das Instrument wie die Türen in „Eine Leiche zum Dessert“. Die Sonnenblende liegt mittlerweile im Fußraum. An der Grenze zu Österreich shoppen wir eine Vignette und drei Warnwesten. Sasa hat währenddessen entdeckt, dass sich die Glühbirnen der Rücklichter aus ihren Fassungen gerüttelt haben und wir rückseitig nur durch den sanften Schein der Kennzeichenbeleuchtung illuminiert wurden. Vielleicht haben sich die lichthupenden Serben, Bosnier und Kroaten doch nicht gefreut. Mit frisch entrosteten und zurechtgebogenen Glühbirnenkontakten trotzen wir der österreichischen A1 Kilometer um Kilometer ab. Ein erster leichter geistiger Zerfall macht sich zwar aufgrund der 81 Dezibel im Inneren und der drangvollen Enge allmählich bemerkbar, wird aber auf die Müdigkeit geschoben. Neidisch blicken wir Lebendviehtransporten hinterher. Circa alle dreißig Kilometer muss der fröhlich swingende Drehknopf des Dimmers für die Instrumentenbeleuchtung wieder auf „hell“ zurückgedreht werden, damit man sieht, wie schnell man ungefähr fährt. Zur Ermittlung der tatsächlichen Geschwindigkeit müssen auf der Autobahn ungefähr 30 km/h subtrahiert werden. Es sind sympathische Unzulänglichkeiten, die einen auf Langstrecke wachhalten.
Teil 1: Balkanroute
Teil 3: Geldgeschäfte in Subotica
Teil 4: Sperrgut-Shopping in Belgrad
Teil 5: Stadtrundfahrten zum Selberschieben
Teil 6: Serbische Whistleblower und Selbstgebrannter
Teil 7: Der schnellste Mann Serbiens