Im 300-Euro-Yugo nach Serbien
- 30. Juli 2019
- Norman Gocke
Teil 2: Vienna Calling
Vor den Toren Wiens rollen wir gegen ein Uhr auf den Parkplatz unserer Unterkunft für diese Nacht. Dafür, dass es sich hierbei um das viel zu oft kolportierte „schlechteste Auto der Welt“ handeln soll, sind wir heute so beiläufig wie mit einem modernen Vertreterkombi bereits die Hälfte der Strecke nach Kragujevac gefahren. Von der Sache mit der Bremse, der Beleuchtung, dem Dimmer, dem Staub und der Sonnenblende einmal abgesehen. Aber dafür hat unser 300-Euro-Yugo zwischenzeitlich einfach mal acht Jahre seines Lebens unbewegt unter freiem Himmel gestanden. Die junge Dame von der Rezeption wollte eigentlich bereits um Mitternacht Feierabend gemacht haben, aber wir konnten ihr telefonisch unsere Situation erklären, für die sie Verständnis zeigte. Sie führt uns direkt nach unserer Ankunft in die Hotelbar, drückt uns mit der Bitte um Selbstbedienung und –zahlung die Getränkepreisliste in die Hand und entschwindet in ihrem 1er-BMW in die Nacht. Der Durst ballonseidetragender Yugo-Besatzungen ist entlang der Balkanroute legendär, bescheidene Kleinwagen schaffen Vertrauen und Bonität. Die aseptisch weiß gekalkte Innenstadt Wiens harmoniert am nächsten Morgen nicht mit dem Stilempfinden drei weitgereister Männer mit Dreitagebärten, deren Wurzeln allesamt im Ruhrgebiet liegen und die heute noch weiter nach Serbien wollen. Wir fahren ohne Stopp weiter Richtung Ungarn. Obwohl Sasa unser erfahrenster Balkanreisender ist, war er noch nie in Budapest. Wir wollen zumindest einmal über die Kettenbrücke fahren und einen Kühlschrankmagneten für Sasas Sammlung kaufen. Ab der österreichisch-ungarischen Grenze bei Nickelsdorf kommt erstmals Exotik und ein Gefühl der Ferne dank der letzten Spuren von Ostblock-Ästhetik, ruppigerem Raststättenpersonal und einer Sprache, die sich kein bisschen verstehen oder lesen lässt, auf. Budapest ist wunderschön und deshalb auch total überlaufen. Der Leerlauf ist jetzt praktisch gar nicht mehr vorhanden, neben dem Linksbremsen entwickeln wir eine zweite lebenserhaltende Maßnahme, indem wir vor jeder roten Ampel den Choke ein kleines bisschen rausziehen. Vor dem Marriot-Hotel finden wir einen angemessenen Parkplatz neben einem modernen Bentley Cabrio. Doch ein aufgebrachter Wachmann kommt sofort angeschossen, um unseren Vertreter der gehobenen Unterschicht wieder zu vertreiben. Dies ist aber nicht weiter schlimm: Ich kann eh nicht aussteigen, da das Gurtschloss auf der Fahrerseite mich nicht mehr frei gibt. Ich werde den Rest meines Lebens in einem Yugo 55 GV von 1990 verbringen müssen.
Kurz vor der Grenze zu Serbien ist es dringend nötig, dass ich mich aufgrund eines zutiefst menschlichen Bedürfnisses irgendwie aus unserer Asphaltkapsel befreie. Mit gesunder Gewalt, Wut und viel Druck gibt das Schloss irgendwann nach, und ich kann nachvollziehen, wie sich die Menschen hier ab dem 2. Mai 1989 gefühlt haben müssen. Wenige Kilometer später taucht mit dem Übergang Horgoš die EU-Außengrenze auf, und es wird unweigerlich still im Auto. Nur das sonore, fast Volvo-ähnliche Brummen des nicht wirklich verdichteten Vierzylinders ist noch hörbar. „Die Serben nehmen uns doch gleich auseinander“, wirft Volker ein, was ihn aber nicht davon abhält, trotz Verbot die Grenzgebäude zu fotografieren, während ich versuche, den Leerlauf einigermaßen stabil zu halten, um nicht noch mehr aufzufallen. Sasa sitzt mucksmäuschenstill und kerzengerade auf der Rückbank, seine Reisedokumente bereits fein säuberlich auf seinem rechten Bein sortiert. Ein Zafira mit Plastiktüten bis zum Heckfenster wird direkt vor uns mit eiskalter Miene auf die Spur für nähere Kofferraum- und Leibesvisitationen gewinkt. Wie benimmt man sich möglichst unauffällig, wenn man ohne weitere Schwierigkeiten mit einem überladenen Yugo mit deutschen Kennzeichen nach Serbien einreisen will, während man am Grenzerhäuschen die ganze Zeit mit dem Gaspedal spielen muss, als würde man Vin Diesel zum Rennen um die Fahrzeugpapiere auffordern? Wir entscheiden uns dazu, die Sonnenbrillen auf zu lassen und größte Beiläufigkeit vorzutäuschen, so, als würden wir die Route mit dieser Kiste jede Woche fahren. Ich habe Volkers Gurt durch meinen gefädelt, jetzt teilen wir uns brüderlich eine Peitsche. Alle angeschnallt, drei Warnwesten an Bord. An mangelndem Verantwortungsbewusstsein dürfte die Einreise nicht scheitern. Wir rollen vor. Jetzt bloß nicht die Pässe beim Rüberreichen fallen lassen, keine dummen Sprüche aus Verlegenheit raushauen, nicht aus Versehen an Hupe oder Scheibenwaschanlage kommen. „Hello!“ „Dobar dan!“ Der serbische Grenzer lehnt sich weit aus seinem Aquarium und fragt, ob das gerade deutsche Kennzeichen an unserem Yugo gewesen sind. Daraufhin verlangt er noch den Fahrzeugschein. Das war’s. Er steht auf und ruft seinen Kollegen hinzu. Die Blicke der Beiden wechseln ständig ernst zwischen Fahrzeugschein und Auto, ehe die beiden anfangen sich kaputtzulachen. Mit einer Träne im Auge stempelt er unsere Pässe und reicht sie uns raus. „Was hat er zum Abschied gesagt?“, frage ich unseren Wittener Fremdsprachenkorrespondenten. „Er fragte, was mit Deutschland los sei. Warum wir ein Auto führen, was die meisten in Serbien schon weggeworfen haben, oder am liebsten wegschmeißen würden“, übersetzt Sasa. Und ich dachte bis hierhin, die drei Euro für eine eiskalte Dr Pepper in Ungarn wären der Gipfel osteuropäischer Dekadenz gewesen. Zeigt mehr Demut und fahrt Yugo! Mehr Auto braucht kein Mensch! Wir sind nämlich tatsächlich bis nach Serbien gekommen!
Teil 2: Vienna Calling
Teil 3: Geldgeschäfte in Subotica
Teil 4: Sperrgut-Shopping in Belgrad
Teil 5: Stadtrundfahrten zum Selberschieben
Teil 6: Serbische Whistleblower und Selbstgebrannter
Teil 7: Der schnellste Mann Serbiens