Im 300-Euro-Yugo nach Serbien
- 30. Juli 2019
- Norman Gocke
Teil 6: Serbische Whistleblower und Selbstgebrannter
Investigativ und knallhart wollen wir nachfragen und treffen uns, nachdem wir uns am Ortseingangsschild in einer kultischen Handlung vor unserem Reisegefährt mehrmals verneigt haben, mit Zoran M., der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Zoran arbeitet seit 28 Jahren in der Qualitätskontrolle des Werks in Kragujevac und schraubte bis zur vollständigen Übernahme durch Fiat 2008 Yugo und Zastava zusammen. Um das Eis zu brechen, wollen wir zu Anfang wissen, welches Zastava-Produkt Zorans Meinung nach das Beste gewesen sei. Zoran: „Nun, der Florida ist der komfortabelste, aber der Yugo bleibt das A und O. Der Yugo kommt überall durch, ist robust und lässt sich prima überladen. Zur Zeit der Inflation schmuggelte ich mit einem Jugo 45 Ende der Achtziger 600 Liter Sprit aus Rumänien nach Jugoslawien. Die besten Yugo waren die für die USA, so wie Ihr einen vor der Tür stehen habt. Die wurden auf einer eigenen Produktionsstraße gebaut, mit höheren Standards, besseren Maschinen und Robotern. Die Amis waren immer zur Qualitätskontrolle dabei. Als der erste Güterzug mit Yugos für Amerika Richtung Hafen losfuhr, war das wie ein Stadtfest, Tausende Einwohner Kragujevacs feierten. Als Glücksbringer für gute Handelsbeziehungen mit den Amis wurden zwei Birken auf dem Werksgelände gepflanzt.“
OLDTIMER MARKT: „Kann man die Birken besichtigen?“
Zoran: „Sie stehen auf dem Werksgelände, das heute Fiat gehört. Eine ist schon
eingegangen.“
OLDTIMER MARKT: „Apropos Sprit und USA. Pete Mulhern soll damals den Amis berichtet haben, dass Ihr schon morgens voll wie die Haubitzen gewesen seid…“
Zoran: „Ach, das ist doch typisch amerikanisch, typisch Hollywood. Alles Propaganda. Klar wurde morgens schon getrunken, aber nicht mehr als in anderen Autofabriken.“
Allmählich müssen wir weiter und Zoran wieder zur Schicht. Zum Abschied inspiziert er unseren US-Yugo und überreicht uns drei Flaschen selbstgebrannten Slivovic…
Wie Zoran machen auch wir uns auf zum Werk, zum eigentlichen Ziel unserer Reise. Aber dass das nichts wird, wissen wir jetzt schon. Unsere E-Mails wurden wahrscheinlich in den Ordner „Wirr“ wegsortiert, jede andere Form der Kontaktaufnahme verlief im Sande. Ganz Serbien schaut seit Ende des Kosovokrieges 1999, mit Ausnahme einiger Hardcore-Yugo-Fans, nach vorne. Was soll man da mit einer kleinen Reisegruppe durchgedrehter Deutscher anfangen, die sich für Yugos, und nicht den aktuell hier gebauten Fiat 500L begeistern, und gerne eine Birke besuchen würden? Die Pförtner sind sichtlich erstaunt, als wir vor den Schlagbaum rollen, aber freundlicher, als jeder Angestellte mit Schließgewalt in Deutschland. Erwartungsgemäß können wir nicht zur verwitweten Birke. Aber wir dürfen ein Foto vom Tor schießen.
Teil 3: Geldgeschäfte in Subotica
Teil 4: Sperrgut-Shopping in Belgrad
Teil 5: Stadtrundfahrten zum Selberschieben
Teil 6: Serbische Whistleblower und Selbstgebrannter
Teil 7: Der schnellste Mann Serbiens