Der komplette Artikel aus OLDTIMER MARKT 08/2019 – Teil 4

Im 300-Euro-Yugo nach Serbien

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Teil 4: Sperrgut-Shopping in Belgrad

Ausschlafen ist nur was für Mittelklassefahrer und Schöngeister! Im Morgengrauen verlassen wir bereits wieder die Stadt, auf dem Radar Belgrad, die Millionenmetropole an Donau und Save. Wir wollen Milan Bulut persönlich kennenlernen. Milan ist der Zastava-Teilehändler, ohne den wir unseren Yugo nach achtjähriger Standzeit unter dem freien Himmel Herfords niemals über den TÜV gebracht hätten. Milans Teilelager befindet sich in einer vierstöckigen Stadtrandvilla, die sich seit Jahren unverändert im Rohbauzustand befindet. Unsere Passion für serbische beziehungsweise jugoslawische Autos kann Milan allerdings nicht teilen. Für den Kraftsportler ist der Teilehandel lediglich Business. Er selbst fährt einen modernen Audi A4. Milan Bulut ist in der Zastava-Gemeinde global bekannt. Sogar aus Australien sind schon Bestellungen über seine Webseite www.autodelovi-zastava.com eingetrudelt. Die hat er aber nicht bearbeitet, verrät er uns. Zu kompliziert. Am liebsten sind ihm immer noch Bargeschäfte mit Selbstabholern. Die Scheine wandern direkt in die Bauchtasche, das Adressieren und Verkleben von Paketen bleibt aus. Schade, denn Milans Preise dürften für den ein oder anderen nächtlichen Online-Impuls-Kauf sorgen: Radläufe zum Einschweißen kosten schlappe acht Euro, ein flammneues Yugo-Seitenteil mit Türausschnitt gibt es bereits ab 75 Euro. Wer da noch spachtelt, ist selber schuld. Im Hinblick auf unseren EKG-ähnlichen Leerlauf kaufen wir zum Abschied einen neuen Ersatzvergaser und machen uns auf in die überfüllte Innenstadt der Metropole. Wir wollen uns mit den Jungs und Mädchen von Yugotour treffen, die Stadtrundfahrten in Zastava 101 anbieten. „Können wir auf dem Weg dahin noch kurz in einer Plattenbausiedlung anhalten?“, fragt Sasa, der, seit wir die Grenze passiert haben, pausenlos sein Handy mit serbischer SIM-Karte am Ohr hatte. „Ich habe dem Wilfried aus Apolda versprochen, ihm was für seinen Zastava mitzubringen!“ Der mit Verkäufer Petar vereinbarte Treffpunkt liegt sogar halbwegs auf dem Weg. Erst als wir sehen, was Sasa mit nach Deutschland nehmen möchte, erreicht unsere Beziehung erstmals einen Tiefpunkt. Sasa hat Wilfried nicht versprochen, dass er sich um ein paar neue Fensterkurbeln oder Kippschalter fürs Armaturenbrett kümmert, nein, unser Freund hat ein zu großes Herz und möchte deshalb ernsthaft voluminöse, extrem bruchanfällige Radhausverkleidungen für einen 101 mitnehmen. „Sasa, wie soll das gehen? Wir hocken doch jetzt schon mit angewinkelten Knien wie Aldrin, Armstrong und Collins in der Dose!“, rede ich auf ihn ein. Im Augenwinkel sehe ich nur noch, wie sich Volker kopfschüttelnd von uns entfernt. „Aber was soll ich dem Wilfried denn sagen?“, wirft Sasa berechtigterweise ein. Die Zastava-Szene in Deutschland ist ein verschworener, solidarischer Haufen. Ähnlich wie bei den Marines lässt hier niemand den anderen ohne Radhausverkleidungen zurück. Ich will Volker nach seiner Meinung fragen, aber Volker ist schon weg. „Na gut, aber von nun an sitzt kein anderer mehr hinten als du. Es war bis hierhin schon so Folter genug für alle Beteiligten. Jetzt kann man hinten nicht mal mehr quer sitzen.“ Irgendwann kommt auch Volker wortlos zurück. Seine Gurtpeitsche möchte er vorerst nicht mehr mit mir teilen. Dafür hat Sasa jetzt quietschendes Hartplastik neben sich sitzen, das ungefähr zwei Drittel der Rückbank einnimmt. Zur Abwechslung nach 1400 Kilometern mal ein anderes, nerviges Zusatzgeräusch, dass sich zu den anderen 28 gesellt. Genau in dem Moment nullt der Kilometerzähler knarzend die Tausenderstelle… Eine Symphonie in Hartplastik!

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Teil 1: Balkanroute

Teil 2: Vienna Calling

Teil 3: Geldgeschäfte in Subotica

Teil 4: Sperrgut-Shopping in Belgrad

Teil 5: Stadtrundfahrten zum Selberschieben

Teil 6: Serbische Whistleblower und Selbstgebrannter

Teil 7: Der schnellste Mann Serbiens

Teil 8: Grenzstress in Bosnien

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