Differential: Um Ausgleich bemüht
- 27. Juni 2012
- Red. OLDTIMER MARKT
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Schema aller Bauteile eines einfachen Ausgleichsgetriebes
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Ausgleichsgetriebe im Tellerrad: Der obere Zapfen nimmt eine der beiden Antriebswellen auf
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Da die Kegelräder des Ausgleichsgetriebes nur recht langsam und nur in Kurven miteinander kämmen, greift man auf einfache, geradverzahnte Räder zurück
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Schnittbild des Differenzials einer Mercedes-Benz-Pendelhinterachse: Das hypoidverzahnte Antriebsritzel treibt das Tellerad an
Treppenförmig stellen sich die Läufer am Start zum 500-Meter-Sprint auf. Der auf der Innenbahn angetretene Läufer sieht seine Gegner auf den äußeren Bahnen vor sich, und der Kollege auf der äußersten Bahn scheint den vermeintlich größten Vorsprung zu haben! Der aber muss in der ersten Kurve auf der Außenbahn eine deutlich längere Wegstrecke zurücklegen als seine innen laufenden Kontrahenten. Die treppenförmige Startaufstellung ist also ein Fall von ausgleichender Gerechtigkeit. Um Ausgleich, wenn auch nicht von Gerechtigkeit, geht es auch beim Differential. Denn wie die Läufer legen die Antriebsräder in Kurven unterschiedliche Wegstrecken zurück, das kurvenäußere Rad hat das längere Ende für sich, das kurveninnere zieht den kürzeren. Bei einer starren Antriebsachse würde das kurveninnere Rad verschleißfreudig auf dem Asphalt radieren und Spannungen im Antriebsstrang verursachen. Bei nasser Straße hingegen bräche das Heck eines Autos mit Hinterachsantrieb aus, ein Fronttriebler ließe sich kaum zur Kurvenfahrt überreden.
Teller und Kegel
Aus diesem Grund wird das Differentialgetriebe zwischen die beiden Radantriebsachsen gesetzt. Bei einem Pkw mit klassischem Antriebskonzept (Frontmotor und Heckantrieb) ist das Gehäuse des Ausgleichsgetriebes fest mit dem Tellerrad verschraubt, das die Längsrotation der Kardanwelle in eine Querrotation umwandelt. In diesem Gehäuse sitzen vier identische, ineinander greifende Kegelräder.
Die Achsantriebswellen münden in den beiden in Fahrtrichtung gesehen seitlichen Kegelrädern und bilden mit ihnen eine drehfeste Einheit. Die beiden in Fahrtrichtung gesehen vorn und hinten liegenden Kegelräder sind auf Wellen im Gehäuse des Ausgleichsgetriebes drehend gelagert.
Solange die Fahrt geradeaus geht und beide Antriebsräder gleich schnell drehen, rotiert das Ausgleichsgetriebe zusammen mit dem Tellerrad, an dem es hängt, um sich selbst und wirkt wie eine starre Verbindung zwischen beiden Antriebswellen. Wird nun eine Linkskurve gefahren, muss das kurvenäußere Rad schneller rotieren und mit ihm die Achswelle und das dort montierte Kegelrad. Dadurch wird das Ausgleichskegelrad in Bewegung versetzt und verlangsamt das kurveninnere Kegelrad in dem Maße, in dem das äußere schneller dreht.
Könnte man während der Linkskurve von oben in das (ruhende) Differential hereinschauen, böte sich folgendes Bild: Das kurvenäußere Kegelrad dreht sich vorwärts und lässt das vordere Ausgleichskegelrad im Uhrzeigersinn rotieren. Das wiederum lässt das kurveninnere Kegelrad nun rückwärts (!) drehen, das hintere Ausgleichsrad bewegt sich gegen den Uhrzeigersinn. Da aber das ganze Differential um sich selbst rotiert, dreht auch das rückdrehende kurveninnere Kegelrad faktisch vorwärts. Steht ein Auto indes mit eingelegtem Gang und abgeschaltetem Motor auf der Bühne, so dass das Tellerrad vom Motor blockiert wird, und bewegt man eines der beiden Antriebsräder, dreht sich der Kompagnon auf der anderen Seite gegenläufig.
Differentialsperren
Leider hat das Ausgleichsgetriebe auch die Angewohnheit, in Aktion zu treten, wenn die Antriebsräder unterschiedlich gute Traktion haben. Das kann im Extremfall dazu führen, dass ein auf einer Eisplatte befindliches Rad wie wild rotiert, während sein Pendant auf dem Trockenen stillsteht - wie das restliche Auto. Aus diesem Grund besitzen Last- und Geländewagen manuell sperrbare Differentiale.
Für leicht geländegängige Autos und Sportwagen sind hingegen Differentiale entwickelt worden, die dem Fahrer das manuelle Sperren abnehmen. So hat ZF ein selbstsperrendes Differential entwickelt, das nach dem Prinzip eines Freilaufs arbeitet. Dabei wird ein Rollenkäfig fest am Tellerrad verschraubt, in dem Gleitsteine sitzen. Die Gleitsteine werden von einem Außenring umfasst, dessen Innenseite eine Art Wellenprofil aufweist. Dieser Außenring ist fest mit der einen Antriebswelle verbunden.
Auf der anderen Antriebswelle sitzt ein Innenring mit einem Wellenprofil an der Außenseite, der in den Rollenkäfig hineinragt. Bei normaler Kurvenfahrt eilt einer der Ringe dem anderen voraus, wobei die Gleitsteine zwischen den Wellenprofilen wie in einer Berg-und-Tal-Bahn durchgleiten. Bleibt aber ein Rad stehen und versucht das Tellerrad mit dem Rollenkäfig, die Gleitsteine zwischen den Wellenprofilen zum Durchrutschen zu bringen, verkeilen sich diese und stellen einen starren Durchtrieb zu beiden Antriebswellen her.