Autoput: Erinnerungen an die Gastarbeiterroute
- 10. Februar 2015
- Red. OLDTIMER MARKT
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Ländliche Idylle: In den fünfziger Jahren war wie hier in Österreich entlang der Route die Welt noch in Ordnung
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Nur gut zehn Jahre später setzte dann aber die Reisewelle der Gastarbeiter ein. Sie sollte mehr als zwei Jahrzehnte andauern
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Ahmet Adisen schickte uns die folgenden vier Fotos aus dem Familienalbum
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Anfangs ging es mit einem betagten aber zuverlässigen Opel Rekord C Caravan auf die große Fahrt
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Später dann mit dem luxuriöseren Ford Taunus P7b 26m, schließlich arbeitete Vater Adisen bei Ford in Wülfrath
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Hier gönnt sich die Familie Adisen (Ahmet ist ganz rechts) eine kleine Verschnaufpause
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An den Grenzstationen ging es zu wie in einem Bienenstock
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Held der Arbeiter: Ohne den Ford Transit ging es nicht. Dieses symbolträchtige Foto schickte uns Êrol Güryalcin (im Vordergrund)
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Wartezeiten an den Grenzen von bis zu 18 Stunden waren fast alltäglich
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Esin Dorch fand die folgenden fünf Fotos in ihrem Familienalbum
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Hier posiert sie mit ihren Eltern in der fernen Heimat vor dem Ford Taunus P4
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Später wurde es dann ein komfortablerer und geräumigerer Ford Granada 2
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Gerade der großzügige Kofferraum machte den kantigen Kölner zum idealen Reisegefährt
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Auch wenn man es vermuten würde: Der Ford P7b trägt türkische Nummernschilder, Esin Dorschs Eltern fuhren aber den Mitsubishi dahinter…
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Kein Klischee: Die vielen Staufotos beweisen, dass Ford und Opel die beliebtesten Marken bei Gastarbeitern waren
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Minal Senel, Traumfahrer aus Ausgabe 5/2011, schickte uns diese drei Fotos. Hier stehen er und seine Eltern in Jugoslawien im Stau
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Und wieder ein Transit…
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Fast geschafft: Der letzte Stau an der bulgarisch-türkischen Grenze Kapikule kurz vor der Stadt Edirne
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Stau an der jugoslawisch-österreichischen Grenze bei Spielfeld
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Peter Georgovrettakos aus Taunusstein schickte uns vier Fotos von den Reisen in die griechische Heimat
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Anfangs noch ohne ihn, ging es im Knudsen-Taunus von Wiesbaden nach Piräus
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Später sattelte dann auch sein Vater auf den größeren Granada um
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Typisch: Entlang der Strecke boten fliegende Händler tonnenweise Wassermelonen an
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Dem wachsenden Verkehr war die Grenze bei Spielfeld irgendwann nicht mehr gewachsen, ein Ausbau war zwingend notwendig
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Schritt für Schritt hat Borut Piculin den Ausbau bei den vielen Reisen über die ehemalige E5 fotografisch festgehalten, von ihm stammen alle Grenzfotos
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Das Dach der neuen Abfertigungshalle ist fertig
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Trügerische Stille auf dem Parkplatz. Im Winter 1974 war das Chaos so groß, dass die Wartezeiten bis zu 30 Stunden betrugen
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Kein Klischee: Schubkarren waren ein beliebtes Mitbringsel der Gastarbeiter
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Ende der sechziger Jahre setzte die mehr als zwangzigjährige Reisewelle der Gastarbeiter ein
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Na? Welche Marke hat in diesem Foto zahlenmäßig die Nase vorn?
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Wer Glück (und ein paar kleine
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Ansonsten durfte man auch schon mal den gesamten Inhalt ausladen und einzeln durchsuchen lassen
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Rastplätze entlang der Strecke waren dünn gesäht und meist hoffnungslos überfüllt. Da blieb oft nur ein Picknick am Straßenrand…
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Sekundenschlaf und Leichtsinn waren die häufigsten Unfallursachen entlang der Strecke, die tausende Opfer kostete. Dieser Fahrer gönnt sich ein Nickerchen
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Besonders auf dem österreichichen Teilstück kurz vor Leoben ereigneten sich viele Unfälle, viele davon tödlich
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Der kleine Toyota Corolla hatte gegen betagten Opel Admiral keine Chance
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Der steigende Lkw-Verkehr forderte ebenso seine Opfer
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Entlang der Strecke sah es oft aus wie in einem Kriegsgebiet
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Glück im Unglück hatte der niederländische Fahrer dieses Scania…
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Mit seinem Tankwagen war er direkt neben einer Tankstelle ins Schleudern geraten
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Der Wirtschafts-Boom im nahen Osten ließ den Lkw-Verkehr explodieren. Hier ist ein neuer Mercedes Benz Runhauber bereits bei der Überführung verunglückt
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Für viele Fahrer war es die letzte Fahrt…
Europastraße 5 - Die Gastarbeiterroute
Für Millionen Gastarbeiter war die ehemalige Europastraße 5 der einzige Weg in die Heimat - auch wenn dieser mit großen Strapazen und Gefahren verbunden war. Flugtickets waren für eine ganze Familie unerschwinglich und wie hätten dann die ganzen Geschenke für Freunde und Verwandte in der fernen Heimat mitgenommen werden sollen? Ganz zu schweigen von den vielen Spezialitäten, die auf dem Rückweg mit nach Deutschland gebracht wurden.
Von München bis nach Istanbul verlief die Strecke über Österreich, Jugoslawien wo sie sich teilte und entweder Richtung Griechenland oder über Bulgarien Richtung Türkei ging. Mehr als zwei Jahrzehnte hatte diese Route bestand, dann kappte der Balkan-Krieg diese Verkehrsader und künftig fuhr man über Ungarn und Rumänien. Nach Ende des Krieges schritt der Autobahnbau rasant voran, sodass die ehemalige Europastraße 5 heute nahezu in Vergessenheit geraten ist.
Die Fotos unserer Leser, die wir im Zuge der Recherche zur Geschichte "Orient Express" in Oldtimer Markt Ausgabe 3/2015 zugeschickt bekommen haben, möchten wir Ihnen nicht vorenthalten. Sie dokumentieren eindrucksvoll, wie es damals auf der berüchtigten Route zuging. Außerdem haben wir noch zwei Erfahrungsberichte unserer Leser, die stellvertretend für die Erlebnisse der meisten Reisenden auf dieser Strecke stehen dürften.
Von Wülfrath in die türkische Heimat
Bis zu meinem 15. Lebensjahr bin ich die Strecke mit meiner Familie gefahren. Mein Vater Yildirim Adisen ein ehemaliger Ford-Arbeiter im Werk Wülfrath war damals einer der besten. Er ist die gefährliche Strecke zwischen 1969 und 1984 17 mal unfallfrei gefahren, davon sogar einmal im Winter. Er sagte immer: "Die Autos damals waren nicht so schlecht aber die Fahrer waren nicht so gut und hatten nur selten das Autofahren in Deutschland gelernt." Und ein Ford 12m (P6) oder ein Opel Kadett B mit 45- oder 50 PS-Motor waren für diese lange Strecke eigentlich nicht ausreichend. Und dazu meist noch voll beladen. Die meisten Unfälle gab es auf der Fahrt in die Türkei in Jugoslawien und auf der Rückfahrt in Österreich. Die Fahrer waren an diesen Punkten immer stark übermüdete. Sie fahren völlig am Ende und fuhren dann oft in den Tod. In den siebziger Jahren waren die arabischen Länder ( Iran,Irak,Syrien... ) ein großer Markt für EU-Länder. Dementsprechend fuhren neue Lkw für die Ölfelder und Sattelzüge mit Waren diese Strecke wie verrückt. Kaum zu glauben, dass uns damals nichts passiert ist.
Heute bin ich 46 Jahre alt und die letzte Reise ist 31 Jahre her. Wenn ich eines Tages genug Zeit habe, will ich die Route mit meinem Taunus TC-3 aus türkischer Produktion nochmal fahren…
Ahmet Adisen, Ayvalik - Türkei
Von Wiesbaden in die griechische Heimat
Jede Fahrt war eine Zerreißprobe für Mensch und Maschine. Als Aufputschmittel gab es Kaffee, kaltes Wasser aus dem sogenannten „Bouruo“ (einem eiförmigen Styroporkrug mit Deckel) und viele Musikkassetten sämtlicher griechischer Schlagersänger. Schon Monate vorher hatten wir Geschenke für die Verwandten besorgt. Nur wie erklären wir Onkel Pantelis, dass wir die von ihm georderten Bratwürste nicht mitbringen können, weil die Wasserakkus der Kühltasche spätestens ab Belgrad handwarm sind? Von Wiesbaden bis Slowenien verlief es immer problemlos, abgesehen von den üblichen Staus. Ab Maribor kam’s dann knüppeldicke: Alles was Räder (oder auch keine) hatte, bewegte sich auf dem Autoput. Keine Seltenheit, dass einem auf dieser breit ausgebauten Landstrasse drei ausgewachsene 38-Tonner nebeneinander entgegenkamen oder ein Reisebus ein Pferdefuhrwerk nur um Millimeter verfehlte. Oft genug hielten mir meine Eltern die Augen zu, wenn wir wieder an einer Unfallstelle vorbeikamen. „Papamm, papamm“, ich habe immer noch das Geräusch der Beton-Fahrbahn im Ohr. Nach drei strapaziösen Tagen trafen wir dann völlig kaputt bei der Verwandtschaft in Piräus ein. Statt Dusche und Schlaf gab es ein großes Fest. Trotz der lebensgefährlichen Situationen ist dieses Kapitel aus meiner Kindheit eines der Schönsten. Ich bin dankbar, dass ich das alles erlebt und überlebt habe. Ich musste immer etwas schmunzeln, wenn Klassenkameraden beispielsweise von der „laaaangen Fahrt“ nach Dänemark berichteten…
Peter Georgovrettakos, Taunusstein
OLDTIMER MARKT auf der Gastarbeiterroute
Aus einer Schnapsidee wurde rasch ein konkreter Gedanke: OLDTIMER MARKT-Redakteur Matti Bohm wollte es selbst wissen, wie die strapaziöse Reise entlang der Gastarbeiterroute sich anfühlt. Mit seinem Kumpel Philipp und seinem Ford Granada nahm er die 2300 Kilometer lange Route unter die Räder. Was die drei dabei so alles erlebten, lesen Sie in OLDTIMER MARKT 3/2015.