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Lancia vor dem Ende?

Der langsame Tod von Lancia

"Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, dass wir Lancia neu aufbauen können", mit diesen Worten verpasste der Fiat-Chef Sergio Marchionne allen Lancia-Fans Anfang des Monats einen Stich ins Herz.
Geht es nach dem Willen des Fiat-Vorstands sollen künftig nur noch die bereits eingeführten und umgelabelten Chrysler-Modelle als Lancia angeboten werden, einzige Ausnahme: der auf dem aktuellen Fiat 500 basierende Ypsilon. Die aktuell noch gebauten Modelle Delta und Musa werden demnach keine Nachfolger mehr bekommen.

Unwürdiges Ende?

Ein sang- und klangloser Abschied des einst so stolzen, häufig genialen, jedoch leider meist höchst defizitär agierenden Autoherstellers. Und vor allem ein weiteres Beispiel dafür, wie ein Konzern ohne eine konkrete Strategie eine Marke ausbluten und anschließend dem langsamen Siechtum überlässt. Denn sind wir mal ehrlich, welcher Lancia hat denn in den letzten Jahren auch nur ansatzweise einen ähnlichen Eindruck hinterlassen wie einst eine Aurelia, eine Fulvia oder gar der Rallye-Keil Stratos? Auch wenn der gelebte Nonkonformismus immer ein Teil der Marke war, so vermochten zuletzt auch Modelle wie die Limousine Thesis kaum mehr Begeisterungsstürme bei den Lancisti zu wecken.

Über 100 Jahre Innovationen

Dabei hatte Lancia in seiner mehr als hundertjährigen Historie allerhand zu bieten. 1906 gründeten Vincenzo Lancia und der Fiat-Versuchsfahrer Claudio Fogolin die Lancia & C. Fabbrica Automobili. Ein Jahr später verließ bereits der erste Wagen die Werkstatt in Turin, der 12HP, der später rückwirkend mit dem griechischen Buchstaben Alpha bezeichnet wird. Die darauffolgenden Modelle Beta, Theta und Epsilon waren sauber konstruierte Wagen mit relativ viel Leistung, die sich jedoch fast nur wirklich Reiche Menschen jener Zeit leisten konnten.
Ein Paukenschlag war hingegen 1922 der vor Innovationen nur so strotzende Lambda. Die Turiner Konstrukteure verpassten der Limousine die erste selbsttragende Karosserie, die erste vordere Einzelradaufhängung, eine spur- und sturzkonstante Radführung mit hydraulischen Stoßdämpfern, einen Vierzylinder-V-Motor in kompakter Engwinkelbauweise und einen Kardantunnel, der es ermöglichte die Karosserie möglichst tief zu platzieren.

Das bessere ist des guten Feind

Spätestens nun haftete Lancia der Ruf an, die Marke zu sein, in der die Ingenieure der besseren Lösung gegenüber der günstigeren den Vorzug gaben. Aber genau dort lag auch Lancias größtes Problem. Denn die ungeheure Akribie mit der nahezu jedes Teil selbst entwickelt wurde verschlang enorme Summen und machte die Produkte außerdem viel zu teuer. Hinzu kam, dass die Fahrzeuge eine außerordentliche Fertigungstiefe aufwiesen. Beinahe alles wurde im Haus entwickelt und gefertigt, nahezu nichts zugekauft. Entweder, weil die Teile nicht den Erwartungen der Firmenführung genügten, oder weil die Familie Lancia mit dem zölligen System auf Kriegsfuß stand und statt dessen selbst konstruierte metrisch dimensionierte Teile anfertigte.
Selbst Jahrzehnte später als der Aurelia B24 Spider beim kaufkräftigen Publikum in den USA wegen seiner Kargheit durchfiel und durch den Aurelia Convertibile ersetzt werden sollte, sponnen die Ingenieure aus einem simplen Facelift eine nahezu komplette Umkonstruktion, bei der beinahe keine identischen Teile verbaut wurden. Und das obwohl beide Autos für den unvoreingenommenen Betrachter eigentlich fast identisch aussahen!

Erfolge im Sport

Trotz chronisch dünner Kapitaldecke war Lancia auch im Motorsport aktiv und zudem dort sehr erfolgreich. 1953 gewann Juan Manuel Fangio auf einem D24 Rennwagen die Carrera Panamericana, ein Jahr später siegte Alberto Ascari bei der Mille Miglia. Unter der Bezeichnung Lancia-Ferrari gelang Fangio 1955 der Gewinn der Formel-1-Weltmeisterschaft auf einem unter Lancia-Ägide entwickelten D50. Jahre später dominierten Lancia vor allem die Rallyepisten der Welt. Anfangs mit der kleinen leichten Fulvia, später mit den reinrassigen Boliden Stratos, 037 und Delta S4, ehe mit den wieder seriennäheren Delta HF 4WD und Integrale die größten Erfolge gefeiert werden konnten. Der Kompaktwagen mit den charakteristischen breiten Backen schaffte es sechsmal in Folge Rallye-Weltmeister zu werden!

Stets in schwierigem Fahrwasser

Geschäftlich lief es dagegen alles andere als rund. 1937 starb der Firmengründer Vincenzo Lancia und die Familie übernahm das Zepter. Der bereits nach dem Krieg eingestiegene Geldgeber Carlo Pesenti übernahm 1955 das Kommando im Konzern. Aber auch er ließ den nötigen unternehmerischen Spürsinn vermissen und war schließlich 1969 gezwungen Lancia an den Fiat-Konzern zu verkaufen.
Fortan konnte die Marke zwar auf Konstruktionen des großen Konzernverbunds zurückgreifen, verlor aber immer mehr an Identität. Die Genialität, das Streben nach der optimalen Lösung geriet zusehends in den Hintergrund. Lancia-Fahrzeuge verkamen immer mehr zu einer Variante eines Fiat-Modells. Das merkten auch die Kunden und blieben den Lancia-Autohäusern fern.
Den endgültigen Todesstoß versetzte der Marke aber ausgerechnet das große Sterben der Big Three in Detroit: Fiat kaufte den angezählten Chrysler-Konzern und beschloss, fortan auf dem europäischen Markt Chrysler-Fahrzeuge unter dem Markennamen Lancia zu verkaufen. Schnöde US-Großserientechnik unter dem Deckmantel des einstmals exklusiven Premiumherstellers Lancia. Somit konnten auch die letzten Traditionalisten, die der Marke bis zuletzt die Stange hielten nachhaltig verschreckt werden.

Epilog

Müsste man eine Anleitung schreiben, wie man eine gute Marke nachhaltig erst ihrer Seele beraubt, um sie dann zombiehaft im Wachkoma dahinsiechen zu lassen, die Geschichte von Lancia wäre das perfekte Beispiel. Wir erinnern uns jedoch gerne an die großen Würfe, den Engwinkel-V4, die zerfaserte Modellpolitik und ja, auch an 25-teilige Aschenbecher, die zwar auch nur die verbrauchten Kippen aufnahmen, das aber nach den höchsten konstruktiven Ansprüchen. Ruhe sanft, Lancia!