Windschnittig und völlig abgehoben: Rumpler Tropfenwagen
- 29. September 2021
- Red. OLDTIMER MARKT
Die Windkanaltests kamen erst Jahrzehnte später, attestierten Rumplers Tropfenwagen aber einen Cw-Wert von 0,28
Edmund Rumplers großer Traum, sein revolutionäres Tropfenwagen-Konzept in bare Münze umzusetzen, ging am Ende in Rauch auf: Statt die große Kohle zu machen, verglühte seine Vision im gigantischen Metropolis-Schlussfeuerwerk. Mit Ikarus als Kühlerfigur konnte das ja auch nicht gut gehen...
Natürlich hätte Rumpler gerne weiterhin Flugzeuge gebaut, aber das war nach dem Ersten Weltkrieg laut Friedensvertrag in Deutschland verboten. Rumpler, der vor seinem Einstieg in die Luftfahrt schon für Autobauer wie Adler und Spyker gearbeitet hatte, begann seine aerodynamischen Erkenntnisse bereits während des Krieges auf den automobilen Bereich zu übertragen. So verwundert es nicht, dass der Prototyp des "R-T-Au" (Rumpler-Tropfen-Auto) bereits im Sommer 1919 durch den Berliner Grunewald fuhr.
Erst lange nach dem Rumpler kamen Tatra 77, Chrysler Airflow und Adler 2,5 Liter heraus
Schon vor Edmund Rumpler machten sich andere Pioniere Gedanken um aerodynamische Gesetzmäßigkeiten und wie man sie im Fahrzeugbau anwenden konnte, doch blieben ihre Ergebnisse Einzelstücke und aerodynamisch meist "auf halbem Wege stehen", wie Rumpler es formulierte. Im Herbst 1921, auf der Berliner Automobil-Ausstellung, sollte sich das ändern: Rumplers konsequent nach dem Grundriss eines sich gerade lösenden, herabfallenden Wassertropfens konstruierte Stromlinienfahrzeug wurde dem Publikum vorgestellt.
Dass der Tropfen zur Tragödie wurde, lag nicht allein in dem exorbitant anderen Aussehen des Wagens begründet, nicht in der ungewöhnlichen Position des Fahrers vorne in Fahrzeugmitte, nicht in der Unmöglichkeit, ein sperriges Gepäckstück unterzubringen. Auch nicht im exklusiv für Rumpler konstruierten, aber viel zu schwachen 2,6-Liter-Siemens-&-Halske-Motor mit nur 36 PS Leistung und sechs Zylindern in "W"-Anordnung...
Nein, jeder dieser Punkte für sich genommen trug Verbesserungspotential. Aber alle zusammen wirkten sich fatal auf den Ruf des Tropfenwagens aus. Hinzu kam der streitbare Stromlinien-Pionier Paul Jaray. der Rumplers aerodynamisches Konzept in Zweifel zog - und irrte! Wie sich erst Jahrzehnte später in Windkanal-Tests herausstellte, lag Rumpler bei einem Cw-Wert von 0,28 bei der Tropfenform nicht wirklich falsch.
1925 passte Rumpler das äußere Erscheinungsbild dem Massengeschmack an – mit richtigen Kotflügeln statt Stummeln, mit zwei zusätzlichen vorderen Lampen, mit Trittbrettern. Auch den Motor ersetzten die Rumpler-Werke in Berlin-Johannisthal durch einen konventionellen Reihenvierzylinder mit 50 PS. Das Kofferproblem war nicht ganz so tragisch: Gepäck schickte man damals per Bahn vor. Blieb nur, dass sich die Leute an das Lenkrad im vorderen Wagenteil gewöhnten. Zitiert sei die bayerische Bauersfrau, die beim Betrachten eines Tropfenwagen-Prototypen während einer Testfahrt-Pause Front und Heck verwechselte: "Der hat aber sein Steuerradl weit hinten..."
Wie es aussah, sollte es mit der Gewöhnung noch eine Weile dauern.
Es nützte alles nichts. Der Ruf lag darnieder, über eine Finanzierungsgesellschaft wurden die letzten Tropfenwagen zu Spottpreisen an Taxiunternehmer verramscht. Am Ende waren keine 100 Tropfenwagen produziert worden... Einmal noch, im Herbst 1926, hatten die Fahrzeuge einen letzten großen Auftritt - im Kino: In Fritz Längs Metropolis versanken mit der hochtechnisierten Großstadt auch Rumplers viel geschmähte Tropfenwagen in Schutt und Asche. Nur zwei Tropfenwagen überlebten: einer im Deutschen Museum in München, der andere im Berliner Museum für Verkehr und Technik. Heute gelten sie als Meilensteine nicht nur der Aerodynamik, sondern auch des Misserfolgs einer zu revolutionären Idee.
Knapp 100 Jahre später reicht es immerhin für Platz 21 in unserem großen Ranking der 100 wichtigsten Autos aus Deutschland in OLDTIMER MARKT 10/2020.
Text Michael Hundt
Voller Innovationen: Als erstes deutsches Auto hat der Rumpler gebogene Glasscheiben