Vier Jahre vor dem Golf: Kleinwagen auf amerikanische Art
- 20. Februar 2020
- Red. OLDTIMER MARKT
Die lange Front und das ungelenk abfallende Heck verraten, dass Kleinwagen nicht die Paradedisziplin amerikanischer Autobauer waren
Ungeliebter Pionier
Was kann dabei herauskommen, wenn Amis versuchen, einen Kleinwagen zu bauen? Eine mögliche Antwort lautet Gremlin.
AMC brachte den Wagen vor nunmehr 50 Jahren und schuf damit ein Auto, das – nun ja, sagen wir mal, ein wenig skurril geraten ist. Es ist irgendwie viel zu groß für ein Kompaktauto und doch zu klein, um als Mittelklassefahrzeug durchzugehen. Clever ist anders, da waren sich seinerzeit die Kritiker einig. Dabei leistete er Pionierarbeit: Selbst der Golf, mit dem Volkswagen die weitestgehend bis heute gültige Blaupause der modernen Kompaktklasse schuf, kam erst vier Jahre später auf den Markt.
In den USA plagte den Gremlin sein Image als Billig-Gehhilfe für automobile Kostverächter. Erst heute vermag er vereinzelt Streichelreflexe auszulösen.
Als Golf noch Sport war
Der "Kobold" (so die annähernd korrekte deutsche Übersetzung des Namens) war ein Kuriosum und das Ergebnis einer im Grundsatz guten Idee, die jedoch immer nur zur Hälfte umgesetzt wurde. Um die "Big Three" – die drei großen Hersteller GM, Ford und Chrysler – in einer Marktnische zu attackieren, präsentierte die American Motors Corporation (AMC) als die weit abgeschlagene Nummer vier der US-Autobauer 1970 im Handstreich den ersten modernen Kleinwagen des Landes.
Der war allerdings nur am Heck zu erkennen – und aus der Not geboren… Zeit ihres Lebens war die 1954 aus den fusionierten Marken Nash und Hudson hervorgegangene AMC klamm, für Neuentwicklungen gab es kein Geld. Deshalb kürzten die Ingenieure und Designer dem Mittelklassemodell Hornet schlicht den Radstand, sägten das Heck ab und schnitten 50 Zentimeter Karosserie dazwischen raus. Die zutiefst biedere Technik, in Ehren ergraute ohv-Reihensechszylinder mit 3,8 (232 c.i.) und 4,2 Liter (258 c.i.) Hubraum, Blattfedern und Starrachse hinten, blieb nahezu unverändert. Das hatte zur Folge, dass der Vorderwagen fast länger geriet als die Fahrgastzelle, und dass aufgrund der Starrachse der Kofferraum noch kleiner ausfiel als der eines VW Käfer. Trotzdem war der Gremlin unverschämt durstig, bot die hintere Sitzreihe nur Platz für zwei Kinder, und für eine Heckklappe hatte es auch nicht gereicht, die Heckscheibe musste als Durchreiche genügen.
Ein Gremlin mit V8 ist völlig übermotorisiert. Das ist extrem.
Martin Kramer, Gremlin-Besitzer aus Näfels (CH) in OLDTIMER PRAXIS 12/2006
Die Verkaufszahlen stimmten dennoch, und zudem gebührte dem Nischen-Hersteller AMC, seit jeher mit dem Ruf des billigen Jakob – des Cheap Charly – behaftet, die Ehre, seinen etwas über vier Meter langen Kleinwagen noch ein halbes Jahr vor GM und Ford präsentiert zu haben. Kein anderes Auto aus US-amerikanischer Herstellung war billiger (das Gremlin-Einstiegsmodell besaß noch nicht einmal eine Rückbank!), erst 1972 steuerte AMC dem Schmalhans-Image mit einem Fünfliter-V8 entgegen, 1977 kam außerdem der zugekaufte und in der Leistung gedrosselte Zweiliter-Vierzylinder des Porsche 924 als Spar-Maßnahme hinzu.
Theroetisch gibt es Platz für vier Insassen, jedoch kam die Basisausstattung des Gremlin ohne Rückbank
1978 endete nach 671.475 Kobolden die Produktion, inzwischen gab es seit drei Jahren den noch schrägeren Pacer zu kaufen, und künftig fuhren in Kinofilmen echte Verlierertypen wie die trotteligen Entführer der "verrückten Mrs. Stone" zur kläglich scheiternden Lösegeldübergabe im AMC Gremlin vor. Fünf Dekaden später wandelt sich das Loser-Image gemächlich in einen anerkannten Underdog-Status. Und Underdogs finden immer ihre Anhängerschaft – weshalb der herrlich unperfekte, geradezu fehlkonstruierte Kleinwagen heute mehr Begehren und Zuwendung erfährt, als je zuvor in seinem Autoleben.
Eine richtige Heckklappe hatte der Gremlin nicht. Dennoch war er Pionier, kam vier Jahre früher als der erste Golf