Rover Jet 1 und Co: Mit Düsenantrieb in die Sackgasse
- 22. April 2020
- Red. OLDTIMER MARKT
Aus Solihull Auf ins Jet-Zeitalter – der Jet 1 von Rover ging vor 70 Jahren an den Start
Aus Solihull auf ins Jet-Zeitalter
Im Frühling 1950 überraschte die englische Firma Rover nicht nur die Fachwelt mit dem Turbinenwagen Jet 1. Das als konservativ geltende Unternehmen, bekannt für solide Saloons (genannt "Auntie") und den rustikalen Land Rover, setzte mit dem Gasturbinenauto ein erstes Signal, dem in den kommenden eineinhalb Jahrzehnten weitere Versuchswagen aus Solihull folgten.
Der vom P4-Tantchen abgeleitete Turbinen-Roadster ging 1952 in Belgien auf Rekordjagd und erreichte auf der Autobahn zwischen Jabbeke und Ostende 244 km/h.
Pionier Rover
Der Jet 1 war der erste, aber nicht der einzige Rover mit Gasturbine. Es folgte der T2 (für "Turbine Car No. 2"), eine Limousine, bei der die Turbine zunächst vorne eingebaut war. Der Umbau der Turbine nach hinten machte den nun T2a genannten Prototypen in seiner Hecklastigkeit praktisch unfahrbar, was letztlich zur Verschrottung führte.
Rover T2a
Der T3 war ein Coupé mit mittschiffs eingebauter Turbine und Allradantrieb. Am nächsten der Serie kam der T4. Das Design der viertürigen Limousine nahm bereits den Rover P6 vorweg, der auch die eigenwillige Konstruktion der vorderen Aufhängung erbte: Dämpferbeine, die sich über Umlenkhebel auf liegende Federn abstützen, was auf den geplanten Einsatz einer raumgreifenden Turbine hindeutet. Immerhin fand so später der Alu-V8 Platz im Motorraum. 1963 und 64 trat zudem der Rover-BRM in Le Mans an, jedoch als Experimentalfahrzeug außerhalb der Wertung. 1965 – dann als Prototyp deklariert – steuerten Graham Hill und Jackie Stewart den Wagen trotz defekter Turbine auf den zehnten Rang.
Im Uhrzeigersinn: Rover T3, Rover T4 und Rover-BRM in Le Mans
Ungelöste Probleme (Verbrauch, Abgaswerte und fehlende Motorbremswirkung) ließen weitere Entwicklungen im Sande verlaufen. Eine gelungene Replika des Rover Jet 1, Ausführung 1952, entstand vor einigen Jahren in Österreich. OLDTIMER MARKT berichtete in Heft 1/2016 ausführlich darüber. Das Originalauto steht im Kensington Science Museum.
Das Heulen der Anderen
Rover widmete sich den Turbinenautos hartnäckig, blieb aber in dieser automobilen Sackgasse nicht alleine. Fiat stellte im April 1954 die Turbina vor. Die im Windkanal des Turiner Polytechnischen Instituts entwickelte Karosserie soll einen cw-Wert von 0,14 gehabt haben. Die in Wagenmitte angeordneten Turbinen leisteten 220 PS, gut für 230 km/h.
Fiat Turbina
1956 erreichte der von Renault gebaute Etoile Filante ("Sternschnuppe") dank einer 270 PS starken Turbine von Turbomeca in Bonneville 307,4 km/h. Für Renault war es eine reine Marketing-Aktion, weiterführende Pläne für eine Serienproduktion gab es nicht (siehe OLDTIMER MARKT 7/1999).
Renault Etoile Filante
Dagegen erachtete General Motors Turbinen offensichtlich als den geeigneten Antrieb für die gewagtesten Styling-Experimente. So ähnelte der 1953 vorgestellte Firebird einem Starfighter auf Rädern. Der Firebird II von 1956 gab sich mit vier Sitzplätzen schon etwas praxisnäher, aber auch hier blieb es bei einem Einzelstück.
GM Firebird
Beim Firebird III von 1959 verzichtete man auf ein Lenkrad zugunsten eines Joysticks. Letzter in dieser Reihe der Styling-Übungen war der Firebird IV von 1964, der paradoxerweise fünf Jahre später als Buick Century Cruiser recycelt wurde.
GM Firebird II
Effizienter dank Rekuperator
Noch ausdauernder als Rover und durchaus ernsthaft beschäftige sich Chrysler mit dem Thema. Geforscht wurde schon seit den 30er Jahren, 1954 stellte das Unternehmen den Turbinenantrieb in einer serienmäßigen Plymouth-Limousine vor. Entscheidendste Innovation: der Rekuperator. Mit diesem Wärmetauscher wurde die Ansaugluft aufgeheizt, was den Treibstoffverbrauch reduzieren und die Abgastemperaturen senken sollte. 1963 wurde zudem eine Kleinserie von 55 Chrysler Turbine gebaut (siehe OLDTIMER MARKT 3/2009). Die viersitzigen Zweitürer entstanden bei Ghia und wurden dann bei Chrysler mit der Turbine und einer dreigängigen Torqueflite-Automatik ohne Drehmomentwandler komplettiert.
50 Fahrzeuge wurden im Rahmen eines "Customer Research Program" für drei Monate an Kunden verliehen. Nach den ernüchternden Tests war allerdings auch bei Chrysler das Gas draußen, bis auf neun Exemplare wurden die Autos verschrottet. 1977 folgte noch ein Versuch mit dem Le Baron Turbine, einem Turbinen/Elektro Hybrid mit kinetischer Energiespeicherung.
Chrysler Turbine