Retro Classics 2020 – fünf Dinge, die uns gefallen haben
- 05. März 2020
- Red. OLDTIMER MARKT
In Halle 1 dominierten Porsche und Mercedes, die Auswahl aller Exponate war dennoch vielfältig
Messe-Trubel
Die Jubiläumsausgabe der Retro Classics in Stuttgart begann mit starkem und plötzlichem Schneefall am Donnerstag und endete vier Tage später bei strahlendem Sonnenschein und frühlingshaften Temperaturen. So vielfältig wie das Wetter zeigte sich auch die Veranstaltung selbst – wir haben fünf persönliche Highlights für Sie zusammengetragen, die uns schon jetzt Vorfreude auf nächstes Jahr bereiten.
Der Rundgang durch Halle 9 konnte mitunter länger dauern: die kleinteiligen Stände weckten den Trödelmarkt-Jagdinstinkt
1. Erdung in Halle 9
Mein Favorit ist Halle 9. Jedes Jahr, immer wieder. Dieses herrliche Gefühl der Erdung. Wenn man die ganzen mehr oder weniger großartigen Angebote und Versuchungen der Hallen 1 bis 8 durchlebt und hinter sich hat. Die bei durchschnittlichen Vermögensverhältnissen fast alle nur unter größeren Mühen realisierbar wären – und dann endlich, geradezu aufatmend, am Schluss in Halle 9 landet. Bei den Details, den Nettigkeiten, den zerlesenen Reparaturanleitungen, den modrigen Klamotten und dem Restaurierungsbedarf. Für 20 Euro endlich die Dichtungen gekauft, die man schon ewig für ein angefangenes Projekt braucht, ein Rücklicht, eine Lederjacke, die fast gar nicht mehr nach Keller riecht und ein Geburtstagsgeschenk für einen Schrauberfreund. Klasse, oder? Nicht falsch verstehen, ohne die übrigen neun Hallen gäbe einem Nummer 9 nicht den Kick. Aber so verkörpert sie das, was man mit "Teilhabe" beschreiben könnte: Hier kann jeder mitmachen.
Knapp 100 Euro ausgegeben, Stoff für viele schöne Garagenstunden eingesammelt und obendrein jede Menge nette Gespräche geführt. Toll war's!
Annette Johann
Einmalig und ein starke Botschaft für das Marken-Comeback: die Sonderschau der Gulf-Rennwagen
2. ROFGO Gulf Heritage Collection
Ich weiß nicht, wie oft ich den Film Le Mans gesehen habe. Steve McQueen strahlt darin in der Rolle des US-Rennfahrers Michael Delaney eine Coolness aus, von der Elfer fahrende Zahnärzte bis heute glauben, dass sie durch das alleinige Tragen einer Grand-Prix-Originals-Jacke auf sie abfärben würde. Der heimliche Hauptdarsteller des Rennsport-Epos ist aber ohnehin der hellblau-orange Porsche 917K, der "Gulf-Porsche". Mit Sicherheit ist es auch Le Mans zu verdanken, dass die Farben des Mineralölriesen aus Pittsburgh (Pennsylvania) unter Klassik- und Rennsport-Fans eine übergroße Strahlkraft haben. Gulf Oil ging 1984 in der Marke Chevron auf und wurde erst vor wenigen Jahren wiederbelebt. Dass die Gulf-Renner nicht nur auf der Leinwand um Siege kämpften, daran erinnerte auf der Retro Classics eine Sonderausstellung mit 23 Fahrzeugen, darunter Formel-1-, GT- und LMP-1-Rennwagen. Ob Ford GT40, Porsche 917K, Mirage GR8 oder McLaren F1 GTR Long Tail: Sie alle waren da, ein Aufgebot, dass man außerhalb der heiligen Hallen des Unternehmers, Rennfahrers und Gulf-Auto-Sammlers Roald Goethe nur selten sieht.
Lukas Hambrecht
Dank der schieren Menge der ausgestellten Fahrzeuge findet sich für jeden Geschmack etwas
3. Riesige Auswahl
Ferrari 365 kann jeder. Aber einen Fiat 900 E muss man sich erstmal trauen. Wer Skurriles mag, wird auf der Retro Classics bestens bedient. Der Trend zu den automobilen Außenseitern oder einstigen Billig-Autos, die nahezu ohne Überlebende aufgebraucht wurden, ist deutlich. Ihnen wird hier viel Platz eingeräumt. Klar, Porsche und Mercedes sind in ihrer Heimatstadt üppig vertreten. Doch Simca, Gutbrod oder Zastava finden auch ihren Platz. Und zwar nicht verschämt in dunklen Ecken, sondern mittendrin. Brot und Butter neben Sekt und Kaviar? Ja bitte! Denn sie gehören alle dazu, und es ziert jede Messe, weder auf das eine noch auf das andere zu verzichten.
Daniel Bartetzko
Seltene Wagen mit tollen Details: Die Voisin-Sonderschau war eine echte Zier für die Messe
4. Die Voisin-Ausstellung. Man musste sie nur erstmal finden
Das französische Wort Voisin bedeutet wörtlich übersetzt Nachbar. In guter Nachbarschaft, aber leider ein bisschen weit ab vom Mittelpunkt des Geschehens versteckte sich in Halle 10 das absolute Glanzlicht der diesjährigen Retro Classics: eine Ausstellung von Autos der Marke Avions Voisin, wie man sie in dieser Qualität und Größe in Deutschland bisher noch nie gesehen hatte. Vor 100 Jahren begann Gabriel Voisin mit dem Bau von Automobilen, doch schon in den Dreißigern war es mit der innovativen Marke aus Issy-les-Moulineaux auch schon wieder vorbei. Rund 10.000 Autos wurden gebaut, etwa 260 sollen noch existieren. Zehn davon standen in Stuttgart. So viele Voisin zusammen zu bekommen, war eine Glanzleistung. Von Absperrungen keine Spur: Wer wollte, konnte ganz genau hinsehen und sich an vielen kleinen Details oder künstlerischen Lackierungen und Stoffpolstern erfreuen. Neben Modellen wie C1, C4, C24 oder C25 Aérodyne gab es auch die Rekonstruktion eines Rekordwagens zu bestaunen, der 1927 in Montlhéry 24 Stunden lang mit einem Schnitt von 182 km/h fuhr. Und natürlich den Kleinwagen Biscuter, konstruiert von Gabriel Voisin, gebaut nach dem Zweiten Weltkrieg in Spanien.
Gregor Schulz
Auch Freunde von Traktoren und Nutzfahrzeugen kamen auf ihre Kosten
5. Nutzfahrzeugvielfalt
Wie gewohnt erwartete die Besucher der Retro Classics in Halle 8 einiges an historischem Schwermetall. Besonders sehenswert dieses Jahr: das schön in Szene gesetzte "Eliszi's Jahrmarktstheater" mit einer Kaelble-, Kramer- und Hanomag-Zugmaschine sowie dazu passenden Schaustellerwagen aus Holz. Die Spedition Fehrenkötter beeindruckte mit gleich drei Büssing-Hängerzügen, Konrad Auwärter sorgte für Busse aus vielerlei Epochen.
Stephan Heide
Unseren ausführlichen Nachbericht zur Retro Classics 2020 finden Sie in OLDTIMER MARKT 4/2020, die ab 26. März 2020 erhältlich ist.
Halle 6 bot Fahrzeuge in allen Preisklassen. Am unteren Ende der Preisskala stand ein viertüriger Ford Sierra für 3600 Euro