Neue Sachlichkeit: Fiat 127, der "Supermini" aus Turin
- 31. März 2021
- Red. OLDTIMER MARKT , Bilder: Andreas Beyer, Archiv
Die 127-Front geriet mit ihren rechteckigen Scheinwerfern zwar ziemlich nüchtern, wirkte aber trotzdem niedlich
Das Jahr 1971 muss für Freunde der Marke Fiat paradiesisch gewesen sein. Insbesondere, wer einen Kleinwagen aus Turin haben wollte, wurde von einer breiten Angebotspalette begrüßt. Zum Leidwesen der Wirtschaftsprüfer zeigte sich die Modellpalette allerdings nicht vielfältig genug – die meisten der kompakten Flitzer machten sich gegenseitig die Zielgruppe streitig. Für die ganz kleine Familie gab es den knuddeligen 500 neben dem glatteren 126, darüber den uralten 600 (der inzwischen Seat 770 hieß) sowie dessen etwas größeren Bruder 850 – allesamt nach alter Schule heckgetrieben. Für den moderneren Geschmack bot sich der 128 an, zeitgemäßer mit Frontantrieb, und um die Sache endgültig zu übertreiben, hatte die Fiat-Tochter Autobianchi noch den A112 in den Schaufenstern stehen. Der Grund für den Typen-Wildwuchs: Alter Tradition folgend flogen die Vorgänger nicht beim Debüt ihres Nachfolgers aus dem Programm, sondern bekamen noch ein paar Jahre Gnadenfrist.
Vollwertiger Platz für vier Erwachsene auf 3,60 Meter Länge für wenig Geld, das bekam vor ihm kaum einer hin. Inbegriffen war ein brillantes Fahrverhalten. Der 127 fuhr Kreise um die Konkurrenz!
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg in die Zukunft war der Fiat 127, präsentiert im Sommer 1971, mitten hinein in das überquellende Angebot. Den Platz des 850 sollte er übernehmen, und von dem hatte er den Motor geerbt – wenn auch sonst nicht sehr viel. Entscheidende Veränderung: Die Mechanik zog sich im 127 auf den Platz vor der Vorderachse zurück, der Rest gehörte den Insassen. So etwas war nicht neu, der Mini konnte das seit zwölf Jahren, aber mit einer Leistung von 47 PS (versicherungsgünstige 45 für Deutschland) und einer Außenlänge von 3,62 Metern beförderte der neue Fiat dieses Raumkonzept eine Klasse höher. Damit gehörte er zu den Pionieren, und die Konkurrenz vom Schlage eines Ford Escort I oder Opel Kadett B ging in Vergleichstests unter wie eine Ladung Wackersteine.
Auf einen verkaufsfördernden Knuddeleffekt hatten die Designer verzichtet, auch ein Novum in dieser Klasse. Die Karosserie mit ihren Rechteckscheinwerfern und dem einfach gestalteten Heck galt als ziemlich sachlich – und dennoch flogen dem Neuling auf der Stelle die Herzen zu: Er wurde Auto des Jahres 1971. Nicht zu Unrecht, der 127 war wirklich zu gebrauchen. Erstens bot er reichlich Stauraum (ab 1972 wahlweise hinter einer Heckklappe samt umklappbarer Rückbank) und eine Zuladung von fetten 400 Kilo, zweitens hatte er hinten Platz genug, dass Erwachsene nach einer längeren Fahrt auf der Rückbank auch ohne orthopädische Betreuung ihr Leben genießen konnten. Es dauerte nicht lange, bis sich herumsprach: Der 127 war prima für den Samstagseinkauf, aber genauso gut für die große Reise gen Süden, mit Sack und Pack.
Scheinwerfer in den Kühlergrill integriert, kein Hüftschwung mehr – aber immerhin besseres Blech. Die zweite Serie kommt 1977
Und er kam durchaus flotter um die Kurven als die Konkurrenz, hatte insgesamt mehr Biss bei vergleichbarer Leistung: Für den Sprint auf 100 km/h brauchte er 17,7 Sekunden, fast zehn Sekunden weniger als der 1200er Käfer. In der Spitze reichte es für 143 km/h. Dabei schluckte er etwa ein gutes Drittel weniger als der in Deutschland nach wie vor beliebte Käfer und immerhin ein bis zwei Liter weniger als andere Konkurrenten. Die Tester sangen Loblieder – Fiat lag offenbar richtig. Bemängelt wurden lediglich der eher lieblose Innenraum, deftige Innengeräusche bei höheren Geschwindigkeiten die Sicht nach hinten. Dennoch verkaufte sich der kleine Fiat wie geschnitten Brot und wurde schnell zum festen Bestandteil des Straßenbildes der Siebziger.
Das Interieur ist karg. Immerhin: So kann auch nicht viel kaputt gehen
1977 erfolgte die erste große Überarbeitung. Diese brachte allerlei Verbesserungen, zugleich nahm sie dem Wagen aber viel von seinem Charme – der kesse Schwung des Heckfensters war nun zugunsten besserer Rundumsicht geradegebügelt, der Kühlergrill wuchs um die Scheinwerfer herum, die netten Chromstoßstangen wichen matten Plastikteilen. Begrüßt wurde der optionale 1050er Motor, der nun 50 PS brachte – ein Produkt der brasilianischen Fiat-Tochter. Gerade mal 130 km/h schaffte der 127D, seinerzeit der kleinste Pkw-Dieselmotor mit 45 raubeinigen PS aus 1301 Kubik.
Vier Jahre später stand die zweite Überarbeitung an, äußerlich vor allem an unverhältnismäßig großen Scheinwerfern und wuchernden Plastikverschalungen erkennbar. Die Motoren blieben unverändert (ausgenommen der Sport mit nunmehr 1301 Kubik und 75 PS statt zuvor 70 PS). Zu der Zeit stand der designierte Nachfolger bereits in den Startlöchern: der Uno. Doch obwohl der schon 1983 um Käufer buhlte, lief der 127 noch bis 1987 vom Band.
Das traurige Ende: In seiner letzten Version ab 1981 hatte der Fiat 127 den typischen Chic verloren. Seine Zeit war auch gekommen, der neue Uno stand bereit…
Wie vieles, was in großer Serie hergestellt wurde, fand auch der 127 keine wirkliche Anerkennung als Kulturgut. Das Image des 127 folgte seinen Stückzahlen nie in goldene Höhen, zu sehr galt er als Wegwerfartikel. Außerdem konnte er böse rosten! Korrosion ist der Fluch dieses Autos, aber sonst gibt es wenig, das man ihm ankreiden könnte. Das Image des Gewöhnlichen hat er wohl nie abwerfen können. Vielleicht war er auch zu kühl funktional, zu nüchtern, im Gegensatz etwa zum Autobianchi A112, der identische Technik unterm Blech trägt. Noch sind sie nicht ausgestorben, aber sehr lange wird’s nicht mehr dauern. Höchste Zeit für eine Rettung in letzter Sekunde – die Marktwerte für fahrbereite Modelle liegen seit einigen Jahren stabil im niedrigen vierstelligen Bereich. Und mit der kompletten Kaufberatung finden Sie einen 127er, der Ihnen viel Freude bereiten wird. (Till Schauen)
Mehr zum Fiat 127
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Bei der zweiten Auflage des 127 verschwand bei den hinteren Seitenfenstern leider die keck geschwungene Linie nach oben