(W)elch ein Drama: Die A-Klasse auf der Kippe
- 26. Oktober 2022
- Annette Johann
Der 21. Oktober 1997 löste ein Erdbeben in Untertürkheim aus. Der Redakteur eines bis dahin jenseits der schwedischen Grenzen kaum bekannten Automagazins namens "Teknikens värld" hatte die brandneue Mercedes A-Klasse in einem Slalomparcours aufs Dach gelegt. Im Rahmen eines im Norden üblichen Fahrdynamiktests, um die Reaktion bei plötzlichen Ausweichmanövern zu prüfen. Der sogenannte Algetest verlangt scharfes Einlenken bei einer Geschwindigkeit von 60 km/h, als müsse man abrupt einem Elch ausweichen, der unvermittelt auf die Fahrbahn tritt. Primär hatten die Schweden bei dem Test an Kinder gedacht, aber "Elche" betraf es eben auch, es klang griffiger und auch ein wenig nationaler. Die neue A-Klasse hatte mir ihrem kurzen Radstand, dem hohen Schwerpunkt und einem vergleichsweise einfach konstruierten Fahrwerk dem offenbar nur einen Überschlag entgegenzusetzen.
Tatsächlich hatte die A-Klasse ein Fahrwerks- und der Konzern nun ein massives Imageproblem. War der erste Kompaktwagen aus Stuttgart doch recht vollmundig angekündigt worden und Mercedes Benz mit ihm auf der Suche nach neuen Kunden. Da half es wenig, dass der TÜV Südwest der A-Klasse bei einem standardisierten und reproduzierbaren Test volle Sicherheitstauglichkeit attestierte – der Ruf war erstmal ruiniert und das Gespött der Branche groß. Aber nicht nur das: Die Marke, die sich das Thema "Sicherheit" schutzengelgleich auf die Fahnen geschrieben hatte, war im Kern beschädigt. In den Versuchsabteilungen schuftete man rund um die Uhr, um dem Problem auf die Spur zu kommen, vermutete zunächst die Reifen als Verursacher. Doch allein daran konnte es nicht liegen, wie man bald merkte.
"Ein Bild, das die A-Klasse töten kann", titelte Teknikens värld. Mit dem Versuch der Schadensbegrenzung etablierte Mercedes einen neuen Sicherheitsstandard in der Kompaktklasse
Der Elchtest und die Folgen
Mercedes reagierte schnell und souverän, stoppte die Produktion und arbeitete die Sache einerseits in großen Anzeigen-Kampagnen öffentlich auf, arbeitete auf der anderen Seite fieberhaft an der Lösung. Schließlich entschied der Vorstand, das zwei Jahre zuvor präsentierte und eigentlich noch der S-Klasse vorbehaltene Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) in der A-Klasse serienmäßig anzubieten und die bereits ausgelieferten 17.000 Fahrzeuge nachzurüsten, weil nur dies die Fahrwerksschwäche sofort und nachhaltig in den Griff bekommen würde. Eigentlich viel zu teuer für die Wagenklasse, doch am Ende des Tages wegweisend für ein später auch bei der Konkurrenz in der Kompaktklasse nachgerüstetes Sicherheitsfeature.
Mercedes-Benz besserte nach – und zeigte die A-Klasse in Pressematerial und Werksfotos fahrstabil und souverän durch den Pylonen-Parcours tänzelnd