Weniger Räder, mehr Spaß – Favoriten der Redaktion (4)
- 22. Oktober 2020
- Dirk Ramackers
Regeln müssen auch mal gebrochen werden. In unserem Jubiläumsheft kürten wir die Top 100 der wichtigsten deutschen Autos – doch was ist mit Motorrädern? Denen widmet sich hier Dirk Ramackers!
Bewegt Körper UND Seele!
Es gibt ein Sprichwort: Vier Räder bewegen deinen Körper, zwei Räder deine Seele. Sicher keine abschließende Wahrheit, aber in meinem Fall doch ziemlich zutreffend. Denn auch nach mehreren hunderttausend Kilometern im Sattel haben Motorräder nichts von ihrem Reiz eingebüßt. Schon nach ein paar Metern wird der Kopf frei, der Fahrtwind weht Stress und Sorgen davon, die Natur wird ungefiltert riech- und spürbar. In makellosen Radien eine kurvenreiche Straßen entlangzuschwingen, ist die Leichtigkeit des Seins schlechthin. Dazu kommen Meta-Ebenen: Ein Motorrad ist wendig, bescheiden in Auftritt und Verbrauch, technisch oft überschaubar und damit ein ideales Reisegefährt. Und als Sportgerät anspruchsvoll und adrenalinintensiv. Deswegen nehme ich mir heraus, statt Autos hier zehn Motorräder in zufälliger Reihenfolge zu nominieren und freue mich auf Eure Kommentare.
Dirk Ramackers, Stellvertretender Chefredakteur, leitet das Ressort Motorrad
Münch "Daytona Bombe"
Sonntagnachmittag in einer schmucklosen Halle für landwirtschaftliche Versteigerungen bei Hockenheim. Die Motorradausstellung Custom & Classic Fest geht zu Ende. Allenthalben erwachen großvolumige Harleys und hochverdichtete Briten-Bikes zu laut ballerndem Leben. Zwischendrin klötert kurz eine Art Viertakt-Rasenmäher – und dann bricht das akustische Armageddon los! Ein aggressives, vielzylindriges Schreien übertönt jegliche anderen Geräusche in der Halle, jeder reißt die Hände hoch und bedeckt seine Ohren, und bei der hochschwangeren Schwägerin des Organisators setzen spontan die Wehen ein! Was wie die Trompeten von Jericho klingt, sind die Lebensäußerungen der Münch Daytona-Bombe, die 1970 in Florida den Stundenweltrekord brechen sollte. Was sie mit 284 km/h Topspeed auch locker geschafft hätte – wenn nicht nach vier Runden der Hinterreifen auseinander geflogen wäre...
BMW C1
Ja, lacht nur! Klar sieht der C1 albern aus mit seiner kecken Mütze, und klar klingen die angestrengt schuftenden Einzylinder im Heck wie rachitische Aufsitzmäher. Aber mal ehrlich: Welchen sinnvolleren Beitrag zum Thema urbane Mobilität gab es denn in den vergangenen Jahren? Vorgestellt 1992 und verkauft ab der Jahrtausendwende, war das Hauptproblem des C1, dass er zu früh kam. Aber vielleicht unternimmt BMW ja noch mal einen Anlauf...
Windhoff 750
Auf der großartigen Int. Ibbenbührener Motorrad-Veteranen-Rallye fiel mir zwischen all den Preziosen eine Maschine auf, die der Streckensprecher als "Windhoff" vorstellte und die offensichtlich mit allen Regeln des damaligen Motorradbaus gebrochen hatte. Nur so viel: luft-ölgekühlter Reihenvierzylinder mit obenliegender Nockenwelle; kein Rahmen, Front und Heck sind am Antriebsblock angeflanscht; Steckachsen und Kardanantrieb… Das Modell oben im Bild gehörte dem Motorsportler Hans Windeis, der es bis 1958 gut 150.000 Kilometer fuhr. Näheres zu dieser Ikone gab es in OLDTIMER MARKT 6/2017.
Neander Villiers 175
Wir alle wissen, wie schwierig es ist, abseits gewohnter Bahnen zu denken. Umso mehr faszinieren mich Konstrukteure, die genau das geschafft und mit dem viel zitierten "weißen Blatt" angefangen haben. Wie Ernst Neumann-Neander, Künstler, Erfinder, Konstrukteur und Gestalter. Dessen Pressblech-Modell P3, das später bei Opel als Motoclub in Lizenz gebaut wurde, hatte bereits eine gewollte Form, als andere Maschinen dieser Zeit noch wie eine Ansammlung notwendiger Komponenten aussahen. So auch diese Bahnrennmaschine mit 175er Villiers-Zweitakter, die N2, wie er auch genannt wurde, im Stand schon schneller aussehen ließ als die meisten Motorräder am Begrenzer.
Tornax Super Sport Luxus
Es muss eins der ersten Oldtimertreffen gewesen sein, das ich mit meiner R25/2 ansteuerte - und da stand sie! Die Tornax Super Sport mit kopfgesteuertem JAP-V2! Blickte aus mächtigen Doppelscheinwerfern wie ein Falke auf die Singvögelchen um sie herum. Dass es so etwas wie eine Brough Superior auch hierzulande gegeben hatte, eine Art deutsches Vorkriegs-Superbike, hatte ich bis zu diesem Moment nicht gewusst.
Simson Schwalbe
Die Schwalbe ist mit ihren großen Rädern, den langhubigen Federwegen, dem guten Wetterschutz und dem kräftigen (60 km/h!), anspruchslosen Zweitaktmotor ein absolut stimmiges Fahrzeug, das zudem gut aussieht. Noch besser wurde sie ab 1980 mit dem luftgekühlten Langhubmotor, den die Suhler Entwickler konsequent auf Wartung und Reparatur in Eigenregie optimiert hatten. Ein faszinierender Gedanke, der einem in der heutigen Zeit regelrecht surreal erscheint. Wer Lust bekommen hat: Die Kaufberatung findet Ihr in OLDTIMER MARKT 7/2020.
DKW RT 125
Eine genial minimalistische Konstruktion, die rationelle Massenfertigung ermöglicht, und das in hoher Qualität - diese schwierige Kombination gelang kaum einem Hersteller so gut wie DKW mit seinen Einstiegsmodellen, speziell der RT 125. Sie massenmotorisierte Deutschland lange vor dem Käfer, gilt mit 450.000 Stück bis heute als meistgebautes deutsches Motorrad und war so gut, dass sie rund um die Welt kopiert wurde – sogar von Harley-Davidson unter der Bezeichnung Hummer.
Kreidler Florett
Wer auf dem Land aufwuchs und die Moped-Zeit nicht mitgenommen hat, dem ist was entgangen. Die Fuffziger war das Tor zur Welt, der erste süße Nektar der Freiheit schmeckte nach Zweitaktöl. Meine Kleinstadt war Zündapp-Land, doch es gab auch ein, zwei Jungs, die schon Geld verdienten und sich eine Kreidler leisten konnten, die 900er Kawa unter den Schnapsglasrennern. Das damals Eingebrannte beherrscht mich bis heute wie einen Pawlowschen Hund: Sehe und höre ich einen der liegenden Einzylinder, läuft mir das Wasser im Mund zusammen.
Werners Horex Regina
Werner und seine Horex - das war die große Freiheit in Comic-Form. Und phasenweise verblüffend dicht am eigenen Leben, nicht nur bei TÜV-Besuchen. Mit fahrdynamisch fragwürdigen Choppern wurde ich zwar nie so recht warm, aber ansonsten fiel es nicht schwer, sich mit dem knollennasigen Spaßvogel zu identifizieren, der sich selbst nicht so ernst nahm.
BMW R25
Meine BMW R25/2, die ich Ende der Achtziger als 18-Jähriger völlig blauäugig kaufte und mehrere Jahre als einziges Alltagsfahrzeug fuhr, soll hier nur stellvertretend für die genügsamen Bauernmotorräder der fünfziger Jahre stehen. Ich bin wahrlich kein Schraubergott, aber trotzdem habe ich eine Restaurierung, die meisten Reparaturen (bis auf eine Motor- und Getriebeüberholung) und die Wartung selbst erledigt. Offenbar nicht so schlecht, denn auf über 150.000 Kilometern bin ich nur zweimal nicht aus eigener Kraft heimgekommen. Deshalb, liebe Leute: Wenn Ihr von einem alten Motorrad träumt, aber Euch nicht herantraut - macht es einfach! Die Dinger wurden einst für Menschen wie uns gebaut! Für mich steht jedenfalls fest: Die R25 war mein erstes Mototorrad, und sie wird auch mein letztes sein.
Für unsere Jubiläumsausgabe haben wir stundenlang Listen gepaukt und diskutiert – herausgekommen ist eine spannende, manchmal überraschende, aber auf jeden Fall umfangreiche Liste. Doch was meinen Sie? Nennen Sie uns hier Ihre persönlichen Favoriten!