Das Beste aus 40 Jahren – So schlecht wie neu!
- 21. Februar 2020
- Red. OLDTIMER MARKT
Werfen Sie mit uns anlässlich der Jubiläen von OLDTIMER MARKT (40 Jahre) und OLDTIMER PRAXIS (30 Jahre) einen Blick zurück auf die schönsten Geschichten aus beiden Magazinen! In OLDTIMER MARKT 1/2012 präsentierte uns Wolfgang Blaube die Geschichte von Dave Walden. Beim Versuch, den Werksauslieferungszustand herzustellen, betrieb der US-Amerikaner unglaublichen Aufwand.
Wolfgang Blaube besuchte Dave Walden – und berichtete in OLDTIMER MARKT 1/2012 von seinen Über-Restaurierungen
So schlecht wie neu
Wenn die Nachbildung von Baumängeln zur Kunstform aufsteigt: Für manchen US-Freak gilt Fließband-Pfusch am Billigauto als Krönung aller Restaurierungsstandards. Der einsame Champion dieser bizarren Kultur zeigt anhand seiner Meisterstücke, was High-End-Originaltreue bedeutet – und welche Dollar-Dimensionen sie kostet
Dies ist die unglaublichste Geschichte, die ich in 15 Jahren als Motorjournalist und 15 vorherigen als noch nicht schreibender Oldtimerfan erleben durfte. Die Geschichte handelt von einem Mann, der statt dem Drei-Dollar-Ölfilter Marke XY ein Original für 1500 Dollar kauft. Der alten Unterbodenschutz nachbraut, um ihn mit uhrmacherischer Präzision aufs Chassis zu modellieren. Der die ganzen USA nach einem 40 Jahre alten, unbenutzten Keilriemen eines bestimmten Herstellungsmonats absucht. Der einen Chemie-Cocktail mit dem exakten Inneraumgestank seines Autos im Neuzustand kreieren lässt. Und dieses Auto einzig auf gepolsterten Reifensocken umherschiebt. Ein Auto, das in Amerika soviel gilt wie bei uns ein Opel Kadett B.
Urknall zum Korrektheitswahn: Mit dieser Replik des Motorcode-Aufklebers (299 B) begann 1999 Daves Karriere als Präzisionssticker-Produzent
Es ist die Geschichte des Dave Walden (50; im Bild links) und seiner irren Passion. In den weiteren Hauptrollen von links nach rechts: Steve Been (50), David Stuart (48), Tom Barcroft (57). Und als Star, siehe Mitte, Daves 1970er Plymouth Valiant. Nach den einzigen konkreten Bewertungskriterien werkseitiger Authentizität, nämlich denen der strengen amerikanischen Originaltreue-Wettbewerbe (OE Contests), ist dieser sechszylindrige Langweiler der unteren US-Mittelklasse das am besten restaurierte Automobil der Welt. Und zwar mit Abstand. Wobei er den Geltungsbereich des Gattungsbegriffs Automobil genau genommen längst verlassen hat: Dieses Exemplar sich selbst bewegen zu lassen hieße, das zu zerstören, was es ausmacht. Und das wäre doch schade um die rund 300.000 Dollar, die die Zweitgeburt des Valiant – realer Zustand-1-Marktwert: etwa 12.000 Dollar – wegfraß. Lohn des irrwitzigen Aufwands: Der höchste Score in der 25jährigen Geschichte der OE Contests, der markengebundenen Original-Equipment-Konkurrenzen – 99,6 Prozentpunkte. Um die Größenordnung mal so klar zu machen: Fährt ein fabrikneuer Wagen vom Fließband zum Werkstor, reduziert sich sein OE-Niveau von 100,0 auf vielleicht 98,5 Prozentpunkte. Schlüsselkratzer am Zündschloss, Reifenabrieb, Feinstaub im Luftfilter, Auspuffruß... so was eben.
Kraftstehzeug: In 14 Jahren ist Dave Walden nicht einen Meter mit seinem praktisch perfekten Mustang Boss 302 gefahren – weil das Reifen und Auspu ruinieren würde
Was Dave und seine Leute wie taten, um mit dem schrullig bis lächerlich wirkenden Valiant sämtliche Vertreter ihres grenzwertigen Genres hinter sich zu lassen, berichte ich später. Zunächst irritieren wir Sie, liebe staunende Leser, mittels Bildern ganz anderer Modelle auf dieser Doppelseite. Warum? Weil diese Modelle – drei Traumautos unter den US-Muscle-Cars – die Chronologie der immer verrückter werdenden Mission des Dave Walden aus Wildwood nahe St. Louis, Missouri, illustrieren. Klappe, Rückblick. Der Kalender zeigt das Jahr 1990, als Dave, dereinst Manager einer Baumaschinenfirma, auf der Showbühne debütiert. Sein mit üblichen Nachbauteilen renovierter Pontiac Firebird – für Kenner: 400 Cubic Inch, Ram-Air-III-Package – holt den zweiten Platz; es soll Daves erster und letzter nicht-erster sein. Heute ist das 1969er Coupé, hier ohne Bild, sein Schönwetter-Alltagsauto. Den blauen Ford Mustang der raren Homologationsvariante Boss 302, hier mit Bild, kauft Dave 1998. In sehr gutem Zustand. Doch das reicht ihm nicht mehr. Zunehmend gilt für den bekennenden Pedanten der OE-Standard. Correct, so heißt das hohe Ziel im Jargon. Wobei das Adjektiv, das auf deutsch eher ein preußisches Dienstbewusstsein charakterisiert, hier die exakte Übereinstimmung mit der werkseitigen Ausführung meint. Wie bei uns, bisweilen nicht ganz korrekt, das Eigenschaftswort original. Zur Erklärung seiner Lieblingsvokabel, die als 100-Prozent-Größe jede Interpretationsvariable verbietet, deutet Dave auf einen schlichten Sticker am linken Mustang-Ventildeckel – sein erstes Eigenprodukt. "That’s correct", sagt er stolz. Der zuvor erhältlichen Reproduktion des Engine ID Code Decal, erfahre ich, mangelte es an einem klar konturierten Zahnbild der Abreißkante. Dave beendet diesen schlimmen Notstand 1999 mit einem Aufkleber der Prädikatsstufe correct. Weitere folgen, Dave wird für die Schaar der OE-Jünger zum Sticker-Guru. Anno 2000 holt sein 1970er Mustang den ersten Best-of-Show-Pokal. Was sonst?
Unvollständiger Überlebender: In diesem Zustand kaufte Dave den Dodge Challenger R/T 2005 für 27.000 Dollar – als echten Survivor mit 26.000 Meilen auf der Uhr.
Der nächste Angriff gilt der Mopar-Szene. Die Anhänger der so bezeichneten Chrysler-Markengruppe sind als kritischste Gemeinde der US-Altautokultur berüchtigt, die etablierten Clubs der Muscle-Car-Ikonen von Dodge und Plymouth als uneinnehmbare Festungen. Als Ticket zu diesem heiklen Parkett besorgt Dave sich einen der ultimativen Fetische: einen schwarzen 1970er Plymouth Hemi ’Cuda in nur einmal gebauter Ausstattungskombination. Optimiert die bereits getane Komplettrestaurierung nach seinen Ansprüchen. Und holt 2005 auf dem Muscle-Car-Olymp – beim Mopar Nationals’ OE Contest in Columbus, Ohio – das nächste Gold. Der Hemi ’Cuda im Wert von gut 600.000 Dollar bricht mit 98,02 Prozentpunkten alle Rekorde. Und soll doch seinen Meister finden; der weiße 1970er Dodge Challenger wartet schon in Daves Garage. Aber diesmal geht es um mehr als die OE-Spitze: um die präzise Reproduktion der Herstellungsmängel. As bad as new, lautet Daves Losung für die kunstvolle Veredlung des Fließband-Pfuschs – so schlecht wie neu. Darüber hinaus fahndet er staatenweit nach NOS Parts: Neuteile aus alten Warenbeständen, die irgendwo, irgendwie unbenutzt die Jahrzehnte überdauerten, um heute die härteste Währung im Mopar-Milieu zu spielen. Dave ist das spätestens klar, seit er für den Servo-Hydraulikschlauch des Hemi ’Cuda 2800 Dollar hinblätterte. Womit sein Verzicht auf die Verpackung immerhin 7200 Dollar sparte; mit Originalkarton kostete das gleiche New-Old-Stock-Teil zehn Riesen ... Der weiße Challenger, Daves erstes Komplett-Restaurierungsobjekt, braucht viele Teile. Doch trotz üblen Gesamtzustands ist das bereits weitgehend zerlegte Coupé ein echter Survivor. Ein Auto, das überlebte, ohne je modifiziert, nachlackiert oder sichtbar repariert worden zu sein. Nur so, weiß Dave, lässt sich die einstige Werksverarbeitung mit allen Mängeln und Defiziten bis ins kleinste Detail nachvollziehen. Und genau rekonstruieren, bis die ganze Chose correct ist. Zur Beseitigung letzter winziger Unklarheiten bedient Dave sich der Erinnerungen ehemaliger Chrysler-Fließbandarbeiter. Für die Umsetzung des irren Perfektionsanspruchs ist Steve Been mit zuständig. Steve ist nicht nur ein handwerklicher Allround-Genius – er hat, ebenso wichtig, ein verdammt dickes Fell. Und vor allem eine Grundeinstellung, ohne die es niemand zu Daves Dienstleister bringt: Auch für den weißhaarigen Stoiker gibt es kein good enough. Es gibt nur correct oder incorrect.
In diesem Challenger stecken 4500 Arbeitsstunden und 269.000 Dollar. Bilder können den außerirdischen Wahnsinn kaum wiedergeben.
"So schlecht wie neu" – OLDTIMER MARKT 1/2012
2007 komplettieren zwei Zeitgenossen mit selbiger Denke das Team: David Stuart, im Hauptamt Fahrzeugdisponent für das Chrysler-Verkaufsgebiet Mittlerer Westen, und Tom Barcroft, frühpensionierter Regionalvertriebsleiter des Konzerns. Somit kann Dave sich wieder mehr ums Geschäft kümmern. Seine Firma ECS Automotive Concepts (www.ecsautomotive.com), die einst mit dem Mustang-Sticker laufen lernte, ist mittlerweile eine der angesehendsten auf dem riesigen Repro-Markt der USA. Nach drei Jahren, 4500 Arbeitsstunden und 269.000 Dollar Teilekosten ist der Challenger gemäß Daves Lesart endlich das, was er als Konsequenz des Aufwandes zu sein hat: das bestrestaurierte Auto auf dem Planeten Erde. Wobei die Details, die den Murks an der Produktionsstraße zitieren, erklärungsbedürftig sind. Den Preisrichtern gegenüber, die angesichts des perfekt imperfekten Dodge erstmals die Grenzen ihres Fachwissens erkennen müssen, genauso wie mir.
50 Dollar pro Arbeitsstunde gerechnet, steckt heute inklusive Teile und Material rund eine halbe Million in dem Hardtop-Coupé. Zustand-1-Marktwert: rund 200.000 Dollar
Erstere vergeben beim Mopar-OE-Contest 2008 die neue Weltbestnote von 99,23 Prozentpunkten. Während ich noch Monate nach meinem Besuch bei Dave und Co darum ringe, die Fassung zurückzuerlangen. Bisweilen verfolgen mich die irrwitzigen Einzelheiten, die die vier mir sachlich-nüchtern und vom intellektuellen Anspruch her durchaus verdaulich erklärten, bis in den Schlaf. Bedrohlich sehe ich dann die Armee der über 100 Pinsel aufmarschieren, die ihr kurzes, haariges Leben lassen mussten, bis feststand, welche Borstenlänge, -stärke und -härte mit welchem Streichwinkel und welchem Lack in welcher Konsistenz und Menge zu kombinieren sind, um die 1970 von einem ignoranten, unterbezahlten Akkordarbeiter lieblos aufs Hinterachsdifferenzial gepatschten Farbmarkierungen so pedantisch nachzustellen, dass ein Mister Dave Walden sie als correct abnickt. Bilder können solch außerirdischen Wahnsinn kaum wiedergeben. So bleibt es der Vorstellungskraft überlassen, was es bedeutet, 14.000 Dollar für eine original undichte NOS-Auspuffanlage zu bezahlen, die die zur Erlangung der gesetzlichen Bodenfreiheit zerquetschten Rohre genauso aufweist wie die windschiefen, unentgrateten Endzierblenden. Was es bedeutet, eine Stempeldruckmaschine anzuschaffen, um jede Leitung, jeden Schlauch mit der richtigen Produktionstag-Kennung zu versehen. Was es heißt, einem Teppichhersteller nicht nur zu vermitteln, wie die Repro-Ware correct anzumuten habe, sondern ihn auch davon zu überzeugen, sie in einer gigantischen Holzkiste flach liegend per Spedition liefern zu müssen, weil die Struktur der Schlingen durch handelsübliches Aufrollen Schaden nähme.
Dave Walden und Keith Rohm, Chefjudge des Mopar National's OE Contest, bei der Weltrekord-Bewertung des Challenger 2008. Damals begannen ihre Originalgetreue-Dissonanzen – und so ein Verhältnis, das an den Studenten und seinen kompetenzmäßig ausgezählten Professor erinnert
Das alles nährt die Frage, warum der Challenger angesichts dieses pathologischen Perfektionswahns nicht 100,0 Prozent aller 2801 Punkte einfuhr. Sondern nur 2779,5, die ebenjene 99,23 Prozent bedeuten. Nun, 4,5 Minuspunkte verteilten sich auf klitzekleine Nuancen – geschenkt. Aber gleich 17 straften die Tatsache ab, dass Dave werkseitig unbehandelte Metallteile wie Bremstrommeln oder Benzintank mit einem kaum sichtbaren Graphitöl besprüht hatte, um sie vor Luftfeuchtigkeit und folgendem Rostbefall zu schützen.
Die Challenger-Restaurierung im Detail
Links – Hinterachse: korrekte Pinselkleckse für den Übersetzungscode, Hitzeverfärbung an der Schweißnaht der Kardanwelle imitiert; Rechts – Blattfederaufnahme: Steinschlagschutz und Mattschwarz wurden erst aufgespritzt, als Druck, Menge, Winkel und Entfernung nach monatelangen Tests endlich feststanden
Links – Auspuff: serienmäßig ruiniert, damit die Bodenfreiheit stimmt. Dieses Werksneuteil ist ein Symbol für den peinlichen Hersteller-Pfusch – kostete aber auch nur 14.000 Dollar; Rechts – Außenschweller und Längsträger: Das lieblose Spritzbild der kurzlebigen Kosmetik in Mattschwarz ist exakt Fließband-like
Links – Ölwanne: nur angenebelt wie einst – da die Motorunterseite im Werk kaum zugänglich war. Auch authentisch: sorglos verbaute Spurstangensplinte; Rechts – Radaufnahme: Die fast unsichtbare Glasur mit Graphitöl an solch rohen Metallteilen bedeutete beim Originaltreue-Wettbewerb 17 Punkte Abzug
Links: Krumm, ergo original: Ein Zubehörhersteller, der die Auspuffblenden so mies ausführt und nicht mal entgratet, könnte sich kaum lange halten; Rechts: Gemurkst, also fabrikgetreu: Wenn das Umfeld des Haubenscharniers so aussieht, war das Werk am Werk – oder ein penibler Restaurierer
Unermüdlich
Ein Vergehen, dessen Vermeidung 99,84 Prozent bedeutet hätte, rechnet Dave. Plus einen zerstörten Dodge. Doch eine Reaktion, die das Psychogramm eines Normalos zuließe – schmollen, um sich schießen, sich frustriert der Modelleisenbahn zuwenden –, zeigt er nicht. Vielmehr startet er ein neues Projekt. Eines, bei dem er sämtliche Ecken und Enden des Challenger nochmals messbar zu toppen trachtet. Und diesen Mann davon abzubringen, was er sich in den Kopf gesetzt hat, gleicht dem Versuch, die Flugbahn einer Cruise Missile durch Schwenken eines Umleitungsschilds zu ändern, schreibt das Fachblatt Mopar Action. Dave bestätigt das, indem er das Resultat vorführt: den 1970er Plymouth Valiant auf diesen Seiten. Kein Hochpreis-Muscle-Car à la Hemi ’Cuda oder Challenger. Im Gegenteil: Das Modell ist der Prototyp des US-Kleinbürger-Kleinwagens seiner Ära. Als es für Steven Spielberg galt, den Antihelden des Kult-Roadmovies Duell als Klischee-Spießer zu motorisieren, griff er zum Valiant, einem fast identischen 71er. Als Dauerverlierer Al Bundy per Drehbuch zum Autofahrer aufstieg, setzte man ihn in einen 72er Duster, die kaum weniger peinliche Coupé-Version.
Besonders eindrucksvoll betont der damalige Neupreis des Valiant das Billigst-Image: Der Viertürer mit 3,2-Liter-Sechszylinder und 125 PS kostete vier Dollar weniger als der eingangs erwähnte, in Amerika ebenfalls erhältliche Kadett B, Version 1100 Coupé, 60 PS. Wie das möglich war, wird am Valiant-Verarbeitungsstandard schockierend sichtbar. Noch nie habe ich ein Auto inspiziert, das derart liederlich zusammengeworfen wurde wie Daves kleines Schwarzes. Weil ich noch nie so einen US-Compact en détail sah? Nein, weil bei den bisherigen wohl schon irgendwelche Hinterhof-Spachtler den grausamsten Fließband-Murks beseitigt hatten. Etwa die werkseitigen Lunker in den hinteren Dachsäulen, die nach Unfallschaden riechen, tatsächlich aber werkseitig nur angezinnte Hartlotverbindungen aus der Rohkarossen-Fertigung sind.
Euro-Faktor: Nach Maßen und Fahrleistungen – 4,78 Meter lang, 155 km/h schnell – kommt der Valiant dem Kölner Zeitgenossen Ford 20M P7 (90 PS) nahe, ist nach US-Norm aber ein echter Kleinwagen
Die Karre ist eben auch ein True Survivor. Aber zum Glück einer, der kaum NOS-Teile benötigt; deren Verfügbarkeit geht gegen null. Dennoch machen zwei Dinge den Valiant für Dave und seine Jungs zur Grande Complication: die behutsame Wahrung erwähnter Zeugnisse der radikalen Low-Budget-Produktion – und die Tatsache, dass die erste und einzige Besitzerin einst Unterbodenschutz als Option wählte. Um die betonharte Werkskruste an den Rost- und Fehlstellen in ihrer natürlichen mikroskopisch stalaktitartigen Oberflächenstruktur nachzumodellieren, brauchen Dave, David und Steve acht Monate – nachdem sie die einstige Herstellerfirma ausfindig machten und deren finstere Originalpampe mit Dachpappe-Abdichtteer und weiteren Leckereien liebevoll nachkomponierten.
Einstieg verboten: das vorsichtigst überholte Original-Interieur des Valiant ist tabu – Sitze und Teppichschlingen könnten gedrückt werden. Das eklige Plastik-Aroma ist aber auch durchs Fenster ein echtes Erlebnis
Apropos Erstbesitzerin: Anne Tomcik aus Connecticut und Baujahr 1910, die den Valiant bis zu ihrem Lebensende 2004 nur 9600 Meilen weit fuhr, hatte einen sonderbaren Geschmack: Als 60-Jährige orderte sie das Modell, wie nur 30 weitere Käufer 1970, in Tuxedo Black, außerdem mit Extras wie Scheibenbremsen vorn (27,90 Dollar), fetteren Reifen (26,45 Dollar) und Sperrdifferenzial (42,35 Dollar). Kein typisches Oma-Auto. Das und mehr verrät der Window Sticker – diese Händler-Preisschilder werden seit Jahren individuell reproduziert. Inzwischen auch von Daves Firma. Seitdem sind sie correct. Heißt: Erst spürte er die originale deutsche Heidelberg-Druckmaschine, dann das originalgetreue Papier für die Formulare auf. Und dann ließ er für den fahrzeugspezifischen Einzeldruck auf den Formularen eine Software entwickeln, die alle Ziffern und Buchstaben per Fuzzy Logic mit leicht variablem Schriftbild darstellt. Zum Schluss erhält der Window Sticker noch die korrekte Perforation. So einfach geht das... Dass der schlichte Zettel überhaupt zum Valiant gehört, bringt uns zum nächsten faszinierenden Punkt: Daves Definition, welchen Neuwagenzustand der Wagen trifft – den am Fließbandende, den beim Transport zum Händler, den bei der Übergabe an den Kunden? Der Challenger, lerne ich offenen Mundes den Unterschied zwischen neu, neu und neu, zeigt den Status quo bei der Passage zum Dealer – dabei lagen die Kennzeichenhalter einst im Kofferraum. Beim Valiant aber auch die Radkappen, womit er unfertig aussähe. Deshalb, entscheidet Dave, muss der Viertürer so dastehen wie bei der Auslieferung an Miss Tomcik: mit montierten Radzierblenden. Mit Window Sticker im Seitenfenster. Mit Nummernschild-Pappprovisorium für die ersten 15 Betriebstage. Dass nach dem Zusammenbau des Valiant jeder einzelne Schraubenkopf wieder correct sitzt, versteht sich angesichts dieser Präzisionssucht von selbst – Tom, zuständig für die Dokumentation, hat vor dem Zerlegen die Positionen sämtlicher Schrauben in mehr als 4000 Fotos festgehalten. Selbstredend auch die des Bolzens, der nach der Werkslackierung des Valiant-Motors vor über 40 Jahren vom Lackiergerüst runterfiel – zwischen den Abgas- und den Ansaugkrümmer. Wo er heute noch (oder besser: wieder) hängt.
Der Valiant-Motorraum nach 38 Jahren und 9600 Meilen nach der Nullung 2010. Der große 3688-ccm-Sechsender (145 PS) kostete 24,65 Dollar extra
Als größtes Problem bei der lebensechten Wiedergeburt des kleinen Plymouth erweist sich die Beschaffung der Reifen; anders als die gängigen Muscle-Car-Schwarten für ’Cuda oder Challenger werden die mickrigen 6.95x14-Polyesterpneus nicht reproduziert. Was tun? Einzige Möglichkeit: die Vereinig-ten Staaten nach vier 1970 eingelagerten NOS-Reifen abzugrasen. Man muss nicht Rechercheaufwand und Reisekosten ermitteln, um den Wert der schließlich aufgespürten Reifen zu verstehen, sagt Dave. Ihm reicht es, wenn der Betrachter halbwegs Verständnis für seine irre Fürsorge der Gummis aufbringt. Darauf stehen darf der Valiant. Aber nicht rollen – das würde die für Neureifen typischen Kautschukhärchen derangieren. Daves Prävention: Geländewagen-Ersatzradhüllen, die er mit dicken Innenpolstern zu Reifenkuschelrollsocken pervertiert hat. Zur vorläufigen Krönung der Vollkommenheit gerät sein Plagiat des beißenden Neuwagen-Innenraumgeruchs – correct, bestätigt ein Ex-Bandarbeiter mit feuchten Augen, nachdem der sorgsam abgestimmte Lösemittelcocktail wochenlang einwirken durfte. Auch ich bin von dem gesundheitsschädlichen Bukett schwer ergriffen – darf ich noch mal? Okay, sagt Dave, eine Nase noch. Dann kurbelt er das Fenster schnell wieder hoch. Bevor zu viel Frischluft reinkommt. Und was hat er statt des strafpunktträchtigen Graphitöls des Challenger aus dem Hut gezaubert? Irgendwie wirken alle blanken Metallteile des Valiant unbehandelt korrosionsfrei. Dave präsentiert eine wachsartige Masse, deren Geruch und Konsistenz an Schuhcreme erinnert. Es ist RPM. Rust Prevention Magic. Seine wichtigste Erfindung, wie er betont. Auftragen, anwärmen – schon ensteht ein unsicht- und unfühlbarer, sogar hitzebeständiger Schutzfilm. Auf der SEMA-Show, der Autozubehör-Riesenmesse in Las Vegas, wurde RPM im Herbst 2011 als eine der besten Produktneuheiten prämiert.
Walden zeigt, wie stümperhaft konventionelle Vollprofis arbeiten
"So schlecht wie neu" – Wolfgang Blaube in AMERICAN CLASSICS 2/2019
Weniger generös zeigten sich die Preisrichter beim Mopar Nats’ OE Contest 2010. Zwar belohnten sie die fast übermenschliche Leistung von Dave und seinen kongenialen Kollegen mit 2241 von 2250 Punkten, was einen neuen Weltrekord von 99,6 Prozent bedeutet. Eine plausible Erklärung für die neun Strafpunkte blieben sie aber schuldig. Erst heißt es, die bräunliche Hydraulikflüssigkeit der Servolenkung sei inkorrekt – beim Valiant sei dort rotes Automatikgetriebeöl verwendet worden. Doch da irrt Chef-Judge Keith Rohm, wie Dave anhand alter Werksdokumente belegt. Dann fänden sich eben andere Macken, retourniert Rohm. Und bemäkelt plötzlich Details, die beim OE-Contest bislang straffrei ausgingen. Ein Politikum? Wenn es das nur wäre. Für alte Hasen aus dem Mopar-Milieu, die die skurrile Szene aus der sicheren Entfernung des Internet beobachten und kommentieren, ist die Sache klar: Dave Walden hat mit dem Valiant einen Maßstab definiert, der nach den Kriterien der OE Contests niemals überboten werden kann – dieses Referenzstück zeige nicht ein Hundertstel weniger als 100,0 Prozentpunkte. Außerdem wagte er, den gottgleichen Preisrichtern die Grenzen ihrer Kompetenz aufzuzeigen. Was als Provokation empfunden und mit einem verzweifelten Aufgebot an Restautorität gekontert wurde. Unterm Strich, finden viele, sei dieser Valiant in jederlei Hinsicht das Todesurteil für die traditionellen Originaltreue-Wettbewerbe, das irgendwann kommen musste. Warum bei den 2011er Mopar Nats’ nur noch zwei Fahrzeuge zum OE Contest antraten, hinterfragt niemand mehr.
Name der Dose: Weil er kein unsichtbares Mittel zur Rohmetallversiegelung auf dem Markt fand, ließ Dave kurzerhand RPM entwickeln
Und wie reagieren die Organisatoren? In Erwartung frischer Teilnehmer mit einer offensichtlichen Aufweichung der strengen Benotungsstruktur. Auf einmal gibt es für Repro-Teile Pluspunkte, die bislang NOS- und Originalteilen vorbehalten waren. Werden Details akzeptiert, die früher mit Punktabzug geahndet wurden. Widersprüche, die diese für US-Sammler so bedeutenden Elite-Wettbewerbe zu unverbindlichen bis peinlichen Gameshows diskreditieren. Dave und seine Jungs bleiben derweil gelassen. Arbeiten inzwischen an neuen Projekten – Entölen und RPM-Beschichten des Challenger-Souterrains, Nachbau eines verschollen ’Cuda-Werksunikats mit vier Türen, Restaurierung eines 1969er Firebrid Trans Am auf Valiant-Niveau. Ob sie mit letzterem beim Pontiac-OE-Contest antreten? Klar – falls sie mit einer fairen Bewertung rechnen können, sagt Tom. Dann surren die Garagentore abwärts. Nachtruhe für die aseptischen Champions. Dave hat noch zu tun; durch mein spätabendliches Fotografieren ist die Garage voller Motten und Mücken. Einfach zerklatschen, juxe ich. Worauf er mich völlig entgeistert anglotzt. Später, als ich zusammenpacke, sehe ich Dave das Getier mit dem Staubsauger einsammeln. Ohne mit dem Saugrüssel auch nur ein Mal die schneeweißen Wände zu berühren. Eigentlich ist er ja ein echt netter Kerl – der nicht mal zu Übertreibungen neigt. Aber wie soll ich das bloß meinen Lesern in Good Old Germany klarmachen?
Text Wolfgang Blaube
Fotos W. Blaube, Tom Barcroft/ECS Automotive
Das Beste aus 40 Jahren
Wir meinen, dass ein Wiedersehen mit einigen unserer Storys Freude machen kann. Dieser Artikel stammt aus OLDTIMER MARKT 1/2012. In AMERICAN CLASSICS 2/2019 erschien er außerdem in aktualisierter Fassung. Die bisher erschienenen Artikel finden Sie hier – weitere sind bereits in Planung. Schauen Sie doch ab und zu mal wieder vorbei!