Das Ergebnis einer unglücklichen Fusion: Triumph Stag
- 22. Juni 2020
- Red. OLDTIMER MARKT
Offiziell wurden nur 163 Triumph Stag nach Deutschland exportiert
Während also der markante Achtender heute seinen zweiten Frühling erlebt, verlief die Geschichte seines Hersteller weniger erquicklich: Stellen Sie sich vor, Vater Staat drängt die beiden führenden Automobilkonzerne des Landes mit sanfter Gewalt und der Aussicht auf finanzielle Unterstützung zur Fusion, um global wettbewerbsfähig zu bleiben. Nehmen wir an, es wären Marken wie BMW und Mercedes-Benz. Glauben Sie, dass beide im Handumdrehen zu dicken Freunden würden, die jegliche Synergieeffekte erkennen und freudig umsetzten? Eine bizarre Vorstellung, nicht wahr? Und genau so ist es bei der Übernahme der BMH (British Motor Holding – mit Austin, Morris, MG und Jaguar) durch die finanziell stärkere Leyland-Triumph-Gruppe (inkl. Rover) ebenfalls nicht geschehen. Heruntergebrochen auf ein einzelnes Modell symbolisiert der Triumph Stag die nachfolgende betriebsinterne Demontage des Konzerns in hervorragender Weise.
Der Dreiliter-V8 galt stets als Sorgenkind. Doch sind die Triebwerke erstmal von Ihren Konstruktionsmängeln befreit, steht einem sorglosen Fahrvergnügen nichts mehr im Weg...
Alles begann mit dem Triumph 2000, der 1963 gegen den Rover P6 lanciert wurde – der Startschuss zu einer neuen Art von Limousinen, die deutlich sportlicher konzipiert waren, als die zuvor eher drögen Konstruktionen für eine überwiegend konservative Kundschaft. Den Zeichenstift bei der Gestaltung des 2000 führte Triumph-Hausdesigner Giovanni Michelotti. Der flotte Viertürer mauserte sich zu einem veritablen Erfolg, weshalb dessen Optik als neues Markengesicht auch nachfolgenden Modellen verliehen wurde – wie beispielsweise dem Stag als Flaggschiff: Kein kompromissloser Roadster wie der TR5, sondern ein komfortabler, viersitziger Convertible der Oberklasse mit veritablem Antrieb. Das Ziel: dem erfolgreichen Mercedes W113 auf dem ertragreichen US-Markt – in erster Linie über den Preis – den Käse vom Burger zu nehmen.
Eine unglückliche Fusion
Aber der Stag floppte! Was war geschehen? Zunächst sah alles sehr vielversprechend aus: Basierend auf der erfolgreichen 2000-Limousine entwarf Michelotti 1964 für den Turiner Automobilsalon ein Edel-Cabrio als Demonstration seiner Fähigkeiten. Die zweisitzige Studie von Michelotti gefiel den Triumph-Lenkern so gut, dass sie ihn beauftragten, eine Produktionsvariante mit vier Plätzen zu entwerfen – auf einer der Proportionen wegen verkürzten Bodengruppe des 2000 und möglichst vielen baugleichen Teilen, um die Kosten niedrig zu halten. Codename: Stag. Geplant war die Markteinführung des Topmodells für 1968. Anfänglich sollte der bisherige 2,5-Liter-ohv-Sechszylinder aus dem TR5 zwischen die Vorderräder. Sollte der Stag in den USA aber groß rauskommen, musste mehr "Butter bei die Fische": ein V8 mit (zunächst) 2,5 Liter Hubraum als zugkräftiges Marketingargument. Dieser rekrutierte sich aus zwei ohc-Vierzylinder-Einheiten – ein Motor, der sich bereits als Auftragsarbeit für Saab auf dem Triumph'schen Reißbrett befand. So weit, so gut; doch dann wurde es kurios:
Die stattliche Uhrensammlung sorgt für Cockpit-Flair
Im Dezember 1966 übernahm Leyland-Triumph kurzerhand Rover. Wirklich logisch und sinnvoll war dies nicht, denn der Neuerwerb konkurrierte mit Triumph im Bereich der Limousinen und besaß dort eine viel solidere Reputation. Was Rover neben prestigeträchtigen Viertürern noch mitbrachte, war eine Lizenz von Buick. Sie erlaubte den Bau jenes legendären 3,5-Liter-V8, der in den kommenden Jahrzehnten Fahrzeuge verschiedenster Art und unterschiedlichster Marken befeuern sollte. Nicht aber den Stag. Nun war Vernunft nicht unbedingt die hervorstechendste Eigenschaft dieser Tage innerhalb der britischen Automobilindustrie. Das betraf das unter einem Dach rivalisierende Management ebenso wie die streikfreudige Arbeiterschaft, die Gewerkschaften und die massiven Schlampereien in den Zulieferbetrieben. Nein, vernünftig war es keineswegs, Triumph zu erlauben, auf einen eigenen Achtzylinder zu setzen. Denn er zerstörte den Ruf des Stag – und seines Herstellers gründlich. Nur aus Prestigegründen durften die Ingenieure weiter an ihrem Motor tüfteln, während sich die Monate zu Jahren addierten. Von dem Vorhaben, möglichst viele baugleiche Teile zwischen 2000 und Stag zu verwenden, war man längst abgekommen. Am Ende teilten sich Limousine und GT kein einziges Karosserieblech, vom Motor ganz zu schweigen. Die Kostenersparnis war dahin, denn es mussten teure neue Pressen für den Stag gefertigt werden. Probleme mit der inakzeptablen Verwindung der Karosserie führten erst zu einem Verstärken der Karosseriebleche und schließlich zum stabilisierenden Überrollbügel.
"Was Ende 1970 geschah, war in der Geschichte des Automobils äußerst selten: Die laufende Produktion eines Modells wurde unterbrochen, um dessen Entwicklung (weitgehend) zu vollenden"
Das Mehrgewicht sorgte für die Entscheidung, den Hubraum auf drei Liter zu vergrößern. Mit der Folge, dass Getriebe, Fahrwerk und Bremsen der Leistung angepasst werden mussten. Alles Maßnahmen, die zusätzlich Zeit und Geld kosteten. Als der flotte Hirsch 1970 endlich auf die Lichtung der Öffentlichkeit treten durfte, gab es ein kurzes Aufflackern einer begierigen Nachfrage. Denn nur zu bald zeigte sich, wie gebrechlich der Achtender war. Das gesamte Kühlsystem erwies sich im Alltagsbetrieb als völlig unzulänglich. Die Aluminiumköpfe verzogen sich unter der Hitze, nachfolgend kollabierten die Kopfdichtungen. Gleichfalls verabschiedete sich gern der Wasserpumpenantrieb. Zudem verschlissen die unterdimensionierten Hauptlager der Kurbelwellen in Rekordzeit. Ein wirkliches Unding waren die wegen zu geringer Spannung überspringenden Steuerketten der Nockenwellen. Wohlweislich legte Triumph einen Austausch dieser nach nur 25.000 Meilen fest.
Sicher hätte auch der Stag einen schicken Fließheck-GT ergeben – doch es blieb bei zwei Prototypen
Wie immer BLMC den Motor auch getestet haben mag, es fand nicht unter Alltagsbedingungen statt. Die wahren Testläufe fanden anschließend mit vertrauensseligen Kunden hinterm Lenkrad statt, die ein nicht serienreifes Produkt bewegten… Die Stag-Probleme zwangen die Konzernführung zum Handeln. Denn es war nicht nur der Motor, das gesamte Fertigungsniveau war inakzeptabel. Qualitätskontrollen? Fehlanzeige!
Zum Verkaufsstart nicht serienreif
Was Ende 1970 geschah, war in der Geschichte des Automobils äußerst selten: Die laufende Produktion eines Modells wurde unterbrochen, um dessen Entwicklung (weitgehend) zu vollenden und die Verarbeitungsmängel in den Griff zu bekommen. Zwei Monate später liefen die Bänder im Frühjahr 1971 wieder an. Umgangssprachlich war aus Stag längst Snag (Schwierigkeit) geworden. Dabei war er den Umständen entsprechend deutlich besser gelungen als so manch anderes Vehikel, was im damaligen Chaos des BLMC-Konzerns auf den Markt geschoben wurde. Doch lassen wir Zahlen sprechen: Kalkulierte BLMC einst mit einer Stückzahl von jährlich 12.000, erreichten die Absätze noch nicht einmal ein Drittel dessen. 1977, im Jahr der Produktionseinstellung, summierten sich die Verkäufe auf knapp 26.000, davon waren lediglich 8120 Stück in den Export gegangen. Die katastrophale Reputation hatte dem Stag jenseits des Atlantiks den Boden unter den Rädern weggezogen. Ein Verkaufspreis weit über dem des Jaguar E-Type V12, die Ölkrise und die verschärften US-Sicherheitsvorschriften machten es auch nicht besser. Das bewog BLMC schließlich, den Wagen bereits Ende 1973 vom nordamerikanischen Markt zu nehmen – Triumph war dort ohnehin nicht als Oberklassen-Hersteller akzeptiert worden.
In Sachen schlichter Eleganz lag der Stag ganz auf der Höhe der Zeit. Kein Chaos-Cockpit fern jeglicher Ergonomie, wie bei so vielen britischen Vertretern der Oben-ohne-Zunft
Buchstäblich genau umgekehrt war es in Down Under: Die Australier schätzten den Stag sehr – die Kühlungsprobleme waren nach dem Relaunch behoben. Warum auch nicht? Der geschmackvolle Achtender war ein absolut gelungener Entwurf. Sein Fahrwerk war für britische Verhältnisse äußerst modern, die Innenausstattung mit Servolenkung und elektrischen Fensterhebern luxuriös. Das Verdeck lag voll versenkbar unter einer Klappe, die Heckscheibe des optional erhältlichen, immer in Wagenfarbe gehaltenen Hardtops war sogar beheizbar. Optisch wirkte er wie ein Coupé. Jene, die den Stag als bequemen GT ansahen, perfekt, um lange Strecken kommod zu überwinden, lagen bei ihm richtig. Auch die Presse fand – anfänglich – lobende Worte. Bis eben die Pannenserie ihren Lauf nahm. Nicht auszudenken, wie der Stag den Markt für potente Convertibles erobert hätte, wäre er vernünftig hergestellt und ihm der robuste Rover-Achtzylinder implantiert worden.
Das Heck wie ein verbreiterter TR6 – die Familienähnlichkeit zum ebenfalls von Michelotti gestalteten Roadster ist nicht übersehbar
Der Schritt zum MkII im Februar 1973 rettete nicht mehr viel. Kleinere Überarbeitungen und zusätzliche Goodies gegen Aufpreis waren Merkmale der zweiten Generation. Die letzte Änderung dann im Oktober 1975, kurz nach der Pleite der BLMC und der Verstaatlichung zu British Leyland (BL): Aluminium-Bleche über den Schwellern und Sternfelgen mit fünf Zacken. Das war's. Zwei Jahre später war Feierabend, ein gleichwertiger Ersatz von BL erst 1983 mit dem Jaguar XJ-S Convertible verfügbar...
Kein hoffnungsloser Fall
"Stimmt, der Stag hat Problemzonen. Aber seine Mankos liegen nicht in der Konstruktion, sondern überwiegend in der Herstellungsqualität begründet. Wer drei, vier Dinge optimiert, kann ein völlig problemloses Auto schaffen", stellt Stephan Böhm klar, Technik-Ansprechpartner des deutschen Stag-Clubs und Inhaber der auf Triumph Stag spezialisierten Firma BOST in Hilgermissen. Die Tatsache, dass sich dieser Sachverhalt noch nicht allzu weit herumgesprochen hat, macht den Stag bis mitunter zum Geheimtipp – und zwar zu einem richtig günstigen!