Das Beste aus 40 Jahren – Lehrjahre sind keine Herrenjahre
- 29. Juni 2020
- Red. OLDTIMER MARKT
Werfen Sie mit uns anlässlich der Jubiläen von OLDTIMER MARKT (40 Jahre) und OLDTIMER PRAXIS (30 Jahre) einen Blick zurück auf die schönsten Geschichten aus beiden Magazinen! In OLDTIMER MARKT 02/2001 starteten wir die fünfteilige Serie "Die kleine Werkstatt am Rande der Stadt"
Lehrjahre sind keine Herrenjahre
Die kleine Werkstatt am Rande der Stadt
Wollten Sie schon immer wissen, was in einer Werkstatt passiert, wenn die Kunden nicht zusehen? Dann begleiten Sie einen hoffnungsvollen Lehrling bei seinen ersten beruflichen Gehversuchen.Treten Sie ein in die kleine Klitsche am Rande der Stadt, irgendwann Anfang der achtziger Jahre.
Da stehen sie, säuberlich aufgereiht, die Arbeitswerte und die Ersatzteile, Menge mal Preis, Mehrwertsteuer und ganz unten rechts die Endsumme. Zahlbar sofort ohne Abzug. Jeder kennt das mulmige Gefühl beim Lesen dieser teuren Ziffern. Was haben die Brüder denn nun wirklich angestellt mit der Kiste? Das war vor zwanzig Jahren nicht anders. Und was auch immer Sie sich unter dem Werkstattalltag vorstellen, so viel sei vorab verraten: Es ist alles noch viel schlimmer. Willkommen in der kleinen Werkstatt am Rande der Stadt, damals, als die Welt noch in Ordnung war und sich wirklich kein Mensch nach einem Fiat 500 umgedreht hätte.
Willkommen in den 80ern
Wir schreiben das Jahr 1980. Unter dem Begriff Commodore wird ein großer Opel mit gusseisernem Sechszylinder und rüden Trinksitten verstanden, nicht etwa ein rührend hässlicher Rechner mit dem Beinamen C64. Bobby Ewing, Elmar Gunsch und Victoria Voncampe tummeln sich auf drei Programmen, die den meisten Zeitgenossen völlig reichen. Der Nato-Doppelbeschluss erzürnt nicht nur notorische Oppositionelle, Atomkraft-nein-danke in rot auf gelbem Grund verziert räuchernde Heckflossen, Bob Dylan veröffentlicht seine einundneunzigste Platte. In Brokdorf kommt es zu Zusammenstößen zwischen Leuten, die heute fünfstellige Pensionen erwarten und Leuten, die heute dienstunfähig geschrieben sind. Nach Feierabend braucht es weder mexikanisches noch australisches Bier, der Treibstoff aus der Brauerei um die Ecke kennt keinen globalen Wettbewerb. Ein verbrauchter B-Kadett mit einem halben Jahr TÜV kostet 50 Mark, den passenden Anlasser gibt es für einen Zehner. Für einen Liter Sprit sind neunzig Pfennige anzulegen, Ausbildungs-vergütungen liegen zwischen vierhundert im gewerblichen und siebenhundert im kaufmännischen Bereich. Lehrlinge wohnen für 220 Mark kalt über einem Plattenladen, dessen Besucher sich über die entwürdigende Wirkung von Synthesizern erregen. Räucherstäbchen und dekorative Setzkästen helfen gegen die Entfremdung, und die ersten Aussteiger schicken sich an, die Landbevölkerung der Toskana zu indoktrinieren. Aber diese Geschichte spielt nicht unter Zypressen, sondern im rauen Wind einer norddeutschen Großstadt.
Meister und Lehrling
An einem klaren Herbstmorgen gegen sieben Uhr verlässt ein Audi 60 mit nicht eingetragenem Super-90-Motor, Koni-Dämpfern und strukturellen Karosserieschäden qualmend den nur stellenweise gespachtelten Teil der Stadt, in dem die Kneipen Dschungel oder Cafe Malaria heißen und auch so aussehen; schnürt durch Altbauviertel, bollert durch Straßenschluchten und erreicht schließlich die kleine Werkstatt am Rande der Stadt. Ein oxydierter Querlenker rutscht auf dem Beifahrersitz herum, die Ventile schnattern atonal und die Tanknadel steht auf null, als der mit verschiedenfarbigen Karosserieteilen dekorierte Ingolstädter Imageträger scheppernd ausrollt. "Hier kannst du nicht parken, um Himmelswillen", blafft der Meister. "Nicht?" – "Nein, die Mühle sifft hier ja alles voll!" – "Ach, da muss bloß 'ne Ölwannendichtung rein und gut." – "Aber nicht während der Arbeitszeit!" – "Hat ja auch keiner gesagt." – "So, nun lass die Kiste stehen und mach', dass du 'nen Blaumann anziehst! Wir haben viel zu tun!" Mit diesen Worten beginnt der erste Tag der Berufsausbildung für den Lehrling, der zwar einen Namen hat, aber in der Werkstatt nur "Leeehhhrrrllliiing!" gerufen wird, je nach Schwere des Vergehens mit neunzig Dezibel oder darüber. Lassen wir es also dabei. Umgekehrt legt der Meister Wert darauf, korrekt mit seiner Funktionsbezeichnung angesprochen zu werden. Am besten in einer debil-piepsigen Tonlage, ungefähr so: "Meister? Darf ich wohl bitte Feierabend machen?" Tarif oder nicht, der mittelständische Unternehmer hat das letzte Wort im mittelständischen Unternehmen, dem letzten Refugium einer Ordnung, die anderswo längst durch sozialistische Horden unterwandert wurde – sagt der Meister, dessen aufrechte Sorge dem Standort Deutschland und den Arbeitsplätzen gilt. Dafür kämpft er, und wehe, es regt sich Widerspruch.
Die Besatzung
Meister Hermann führt seine Werkstatt streng, aber gerecht. Ihm zur Seite steht Gattin Carla, zuständig für Bürokram, Verkehrsamtskram, Verzehrkram, Zucht und Ordnung. "Wie siehst du nur wieder aus? Geh' doch einfach mal zum Frisör!" Bewacht wird der Betrieb von einem zornigen Schnauzer, der es an Lautstärke durchaus mit seinem Herrchen und Meister aufnehmen kann. Weiter unten in der Hierarchie gibt es den Gesellen Paul, einen Zwei-Zentner-Koloss von ruhigem Wesen. Paul hat eine nette Frau, zwei nette Kinder und eine nette Hypothek, ihn erschüttert nichts mehr. Der Altgeselle steht seinem Meister schon seit Ewigkeiten zur Seite, er kennt jeden Stein in der Werkstatt, jeden Kunden mit Namen und weiß, wo er irgendwann mal einen Schalthebel per Schweißpunkt gesichert hat, weil endgültig kein Gewinde mehr übrig war. Es gehört einiges dazu, Paul ernsthaft aus der Ruhe zu bringen. Er hat eine ungefähre Vorstellung vom Ende des Satzes, den er gerade anfängt, und allein diese Eigenschaft macht ihn im Werkstattumfeld zu einer außergewöhnlichen Persönlichkeit. Paul beeindruckt durch seine natürliche Autorität, die mit erstaunlichem Ideenreichtum kontrastiert. Gelassen schaut er sich minutenlang ein technisches Problem an, um dann seinen verblüfften Mitstreitern die geniale Lösung zu präsentieren. Als der Zylinderkopfeines Volvo 264 partout nicht am Federdom vorbei gehen will, durchdenkt Paul kurz die Lösungsmöglichkeiten, nimmt schließlich einen Vorschlaghammer und verpasst dem Vorderwagen einen technischen K.o. Der garstige Zylinderkopf passt dann tatsächlich vorbei. Noch harmonischer hätte diese Lösung gewirkt, wenn nicht just in diesem kreativen Moment der stolze Besitzer des edlen Schweden zur Tür hereinspaziert wäre...
Die Kundschaft
In den Siebzigern hat Hermann nach langen Jahren ohne Markenbindung eine Fiat-Vertretung eröffnet. Die Modellpalette des Turiner Herstellers zeigt sich durchwachsen in dieser Zeit: Neben Fossilien wie 126, 131 Mirafiori und 132 stehen Modelle, deren forsches Design den meisten Zeitgenossen zu weit geht. Nach dem Ritmo erscheint 1980 der Panda, dessen radikale Einfachheit viele Kunden eher schockiert als anspricht. Erst als Fiat das Konzept verwässert, verkauft sich der hochbeinige Revoluzzer mit dem verschiebbaren Aschenbecher besser. Der erfolgreiche Uno hat das Reißbrett noch nicht verlassen, unverdrossen wird der angegraute 127 unter das Volk gebracht. Fiat gehört zu den letzten Herstellern, die in Gestalt von Spider und Xl/9 Sportwagen anbieten, ein Service, den der deutsche Markt längst ignoriert. Denn Großserienautos mit starken Motoren wie der Golf GTI haben längst die Ausrottung der Spezies eingeleitet. Verschämt ducken sich die letzten Alfa GTV6, Ford Capri und Alpine A310 vor den spitzen Bleistiften der Autotester, die außer hohen Betriebskosten nichts an ihnen bemerkenswert finden. Die letzten Giulia Super stehen sich bei den Händlern die Reifen platt, den Renault 4 gibt es immer noch neu, und allenthalben weigert sich die Vergangenheit, der Zukunft in Gestalt eines Audi quattro oder Mazda 626 Platz zu machen. Die Beziehung des Meisters zu seiner Marke zeigt sich zwiespältig. Fiats graumelierte Mittelklasse wird von Männern gefahren, die vom Neckar kommen und mit der Marke alt geworden sind. Unter seiner grellen Orangenhaut war der Mirafiori schon bei seiner Geburt ein grauer Geselle, bevorzugt von einer konservativen Kundschaft mit sportlichem Einschlag. Leute, mit denen Hermann sich gemeinhin gut versteht. Die Kleinwagen dagegen sprechen in unserem Kundenkreis eine sehr gemischte Klientel an: den dynamischen Sportlehrer, den Heiratsschwindler, zwei ältliche Witwen, Habenichtse aller Couleur – der kleinste gemeinsame Nenner tritt frühestens beim Bezahlen der Rechnung zutage. "Vorsicht vor solchen Leuten", mahnt der Meister immer wieder. Hermanns Feindbild ist ganz klar die Pädagogin. "Sieh dir das an!" hebt der Meister beim Anblick eines verwohnten 127-Innenraumes an. "Wie die Russen haben die hier gehaust. Wie die Russen!" Verstohlen wedelt der Lehrling mit dem Auftrag. "Meister, das Auto war geklaut und ist wiedergefunden worden. Wir wissen nicht..." – "Papperlapp! Du weißt nicht! Lehrer sind so, glaub' mir das! Die haben sechs Wochen Sommerferien, und ich hab' schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich über Ostern mal zwei Tage wegfahre! So sieht das aus! So, und jetzt gehen wir schön die Halle fegen! Wir haben wenigstens Zeit für Ordnung und Sauberkeit!" Fegen wir also die Halle.
Moderne Betriebsführung
Hermann erreicht eine Bauhöhe von anderthalb Metern, geht dabei aber schneller als mancher Zweimetermann, indem er die Drehzahl erhöht. Mit Motoren verfährt er genauso: "Das muss hier erst mal tüchtig freigepustet werden, dann läuft der auch richtig!" Worauf es bei der modernen Betriebsführung ankommt, ist die Auslastung. Wenn sich also freiwillig ein Kunde für eine Inspektion anmeldet, dann wird der Termin an einem Montag stattfinden. Denn es könnte ja noch einer kommen, dem nur der Dienstag passt, und wer weiß, was Mittwoch passiert. Also wird alles für Montag eingetragen. Mit dem Erfolg, dass die angefangenen Aufträge auch am Donnerstag noch nicht fertig sind, denn die baulichen Voraussetzungen lassen eine vernünftige Diagnose an vierzehn Fahrzeugen in acht Stunden nicht zu. Drei Hebebühnen stehen zur Verfügung, wovon durchschnittlich zwei funktionieren, dazu eine Grube und eine weitere Bühne, die in einem hölzernen Anbau untergebracht ist. Dort steht meist eine Dauerbaustelle, irgendeine Kiste, die seit sechs Wochen auf ein Lenkgetriebe wartet. Neu-, Vorführ-, Gebraucht-, Unfall- und Schrottwagen stehen einvernehmlich unter einem selbstgebauten Gestell aus verzinkten Stahlrohren vor dem Tor, einer Garagentür mit eingelassener Scheibe zur rechtzeitigen Identifikation besonders unangenehmer Zeitgenossen.
Beschallt wird dieses Gesamtkunstwerk von einem Röhrenradio, dessen Sender Hermann mit einem exakt platzierten Nagel auf Welle Nord positioniert hat. Das Programm dieser Sendeanstalt hat Geselle Paul scharfsinnig als Aufforderung zur Erbschleicherei erkannt: „Weißt du, am schlimmsten ist diese Wunschsendung am Nachmittag. Da sülzen sie dir jeden Tag den Schneewalzer um die Ohren. Und wenn Omis Häuschen endlich versoffen werden kann, kommen die Erben der nächsten Schachtel und wünschen sich dasselbe. Die sterben einfach nicht aus!" Das alte Radio trägt Spuren zahlreicher Attentate genervter Schrauber, denen Rudi Schuricke gründlich die Birne weichgekocht hat: Schmauchspuren weisen auf einen Angriff mit dem Autogenbrenner hin, und alle acht Ecken zeigen verräterische Druckstellen. Paul versucht es mit Batteriesäure, was den vorlauten Apparat aber nicht zum Schweigen bringt. Während der Lehrling sich auf den Aufbau des ambulanten Achsmessstandes konzentriert, schmettert Vicky Leandros ihrem Theo zu, dass er sie jetzt nach Lodz fahren soll. Zeit für einen Wortbeitrag. "Meister, ist dir schon mal die Idee gekommen, dass die Musikauswahl für die Kunden, die auch in zwei Jahren noch Auto fahren werden, ungeeignet ist?" Geselle Paul kichert subversiv, denn er weiß, was jetzt kommt: einer von Hermanns gefürchteten Monologen. "Also früher, als ich Lehrling war, da hatten wir überhaupt keine Musik bei der Arbeit. Außerdem..." – "Klingt gut." – "Na schön, wenn's dich stört, dann kannst du ja draußen arbeiten. Du gehst jetzt Holz hacken."
Das Chaotische Lager
Im Keller verbirgt sich das Chaotische Lager. Hermann referiert, was es damit auf sich hat: "Also, die Ersatzteile sind alle nach dem werksmäßigen Nummernsystem verstaut. Außer den Auspuffanlagen, die findest du da hinten. Lenkungsteile sind links, Elektrik haben wir da drüben, und Karosserieteile liegen im Nebenraum. Transporterteile haben wir natürlich extra, außer den Dichtungen, die sind bei den anderen, und zwar an dem Brett da vorne, schön alle zusammen. Motoren sind oben hinten, außer den luftgekühlten, die sind bei den gebrauchten Motoren im Heizungskeller. Hinter der Tür da. Irgendwo war noch eine Borgward-Maschine, unter den Dichtungen stehen die Bootsmotoren, und – Paaauuueeelll! Wo kommt dieses Getriebe her? Paaauuueeelll! Nu' komm!" Kein Zweifel, die kleine Werkstatt am Rande der Stadt verfügt über ein Chaotisches Lager viele Jahre, bevor die betriebswirtschaftliche Trivialliteratur diesen Begriff breiteren Bevölkerungsschichten nahe zu bringen versucht. Zwischendurch, an den Lehrling gewandt: "Ist ganz einfach, siehst du ja. Ab sofort gehst du runter und holst die Teile. Und wenn ich dich beim Faulenzen erwische – aha, Paul. Wo kommt denn nu' das Getriebe her?" Der Angesprochene steht vor einem Rätsel — und stützt sich erst einmal an einem Auspuffrohr ab, das nachgibt, sich in einer weiteren Anlage verhakt, bis das gesamte Arrangement krachend zu Boden stürzt. „So, Stift, das räumst du jetzt erst mal auf. Paul, und du kommst mit."
Aller Anfang ist schwer ...
Trotz der redlichen Bemühungen von Hermann und Paul kann es nicht ausbleiben, dass dem Lehrling in den ersten Tagen einige Schnitzer passieren. Schon der erste Ölwechsel an einem Simca 1100 klappt nur beinahe: Der Dichtring des Ölfilters bleibt am Motorblock kleben, und weil zwei Dichtringe nicht besser dicht halten als einer, verteilt der französische Fronttriebler seinen Schmierstoffhaushalt auf den Werkstattboden. Das Öl kommt aus einem Fass im Keller, es wird mit einer elektrischen Pumpe in blecherne Kannen gefüllt. Ein Vorgang, der nach Rationalisierung schreit, befindet der Lehrling. "Du Paul, du kannst doch am Knacken der Pumpe die Füllmenge genau erkennen. Wozu denn dann der Zirkus mit den Blechkannen?" – "Weil der Arretierstift am Pumpmechanismus klemmt. Wenn das über der Box passiert, ist es nicht so tragisch..." Eines Tages klemmt der Arretierstift so gründlich, dass Paul keine Blechkannen zum Befüllen mehr findet. Während der Lehrling ins Lager stürmt, um die Pumpe auszuschalten, wetzt von der anderen Seite Meister Hermann heran, alarmiert von den Hilferufen seines treuen Gesellen. Hochmotiviert legt sich der Kreishandwerksmeister in die Kurve, schaltet zurück, richtet sich auf, will gerade durchstarten – und erwischt mit der Sandale die Öllache, die sich inzwischen angesammelt hat. Der Schmierstoff trägt ihn fort, verzweifelt rudert er gegen das Schwinden des Gleichgewichtes an, verfehlt haarscharf das Bord mit den Spezialwerkzeugen, Baugruppe Motor, und schlägt im Prospektständer ein. Der gefürchtete Monolog stellt neben der Schuldfrage klar, dass der Lehrling den Schaden beseitigen darf. Für das nächste Missgeschick sorgt der Auszubildende selbst. Der Weg zur Hebebühne führt über den Bremsenprüfstand, dessen Abdeckbleche schon bessere Zeiten erlebt haben. Woran der Lehrjunge momentan überhaupt nicht denkt. Fasziniert starrt er auf die Instrumente eines getunten 600ers, lauscht dem befreiten Ansaugschnorcheln und lässt mit Schwung die Kupplung kommen. Ein Blech löst sich, segelt majestätisch über das zerzauste Haupt des Schnauzers, kracht durch die Eingangsscheibe und landet auf der Motorhaube eines unbedacht in der Flugbahn geparkten BMW. Einem Kunden fällt die Kaffeetasse runter, allen anderen Augenzeugen mindestens der Unterkiefer. Meister Hermann rollt mit den Augen, er würdigt den ondulierten Luxuswagen keines Blickes. Nein, hier geht es um wahre Werte, um Leib und Leben der unschuldigen Kreatur. Etwa zehn Sekunden dauert der Verdichtungshub im Sprachzentrum des Meisters, dann folgt die mächtige Selbstzündung. "Du Idiot! Das kann doch nicht angehen! Ich hab' dir schon tausendmal gesagt, nie Gas geben auf dem Prüfstand! Wenn meinem Hund was passiert wäre! Nicht auszudenken!" Der gefürchtete Monolog endet mit der Anordnung, zwei Tage Holz zu hacken.
Des Meisters Hund
Wenn es um den Hund geht, gerät des Meisters Gespür für Gerechtigkeit außer Kontrolle. Eines Morgens bereiten Lehrling und Geselle eine Reihe gepflegter Gebrauchtwagen für die TÜV-Abnahme vor, die ausgiebige Nutzung des Bremsenprüfstandes gehört natürlich zum Programm. Besser, wir prüfen noch einmal die Grundeinstellung. Der Geselle baut sich vor der Skala auf, der Lehrling drückt auf den Knopf – und ein markerschütterndes Jaulen zerreißt die friedvolle Stille. Mit Hermanns Erscheinen wird das Geheul zweistimmig. Hermann schnaubt: "Das hast du mit Absicht gemacht!" – "Was habe ich mit Absicht gemacht?" – "Na, den Hund in den Bremsenprüfstand geworfen!" – "Meister, siehst du Bissspuren an meinen Handgelenken? Wie hätte ich den Köter wohl anfassen sollen?" – "Das ist kein Köter! Und das ist der Beweis!" Spricht's und fischt einen Knochen zwischen den Rollen hervor, während sich der jaulende Schnauzer ins Büro verdrückt. Finster rollt Hermann mit den Augen und schwenkt den ehemaligen Suppeninhalt vor seinem Schutzbefohlenen herum. "Und du meinst, das sei mein Knochen? Ölwannendichtung oder nicht, aber ein Butterbrot kann ich mir noch leisten." – "Mach" keine Witze, du weißt genau, worum es geht!"
Das wahre Leben
Aussichtslos. Dass diese Episode das Hacken von viel Holz, das Umgraben von viel Vorgarten und den Ölwechsel an vielen ausgesucht schmierigen Dieselmotoren nach sich ziehen wird, weiß der Lehrling längst. Das ist es, worum es geht. Hunde sind mehr wert als Auszubildende. Mag sein, dass sie einem in der Schule was anderes erzählen, aber das hier ist das wahre Leben. Zum Glück gibt es ein Wesen, das in der Hierarchie noch weiter unten steht: der Kunde. Doch das ist eine andere Geschichte – und die erzählen wir beim nächsten Mal.
- Text Stefan Heins
- Illustration Lothar Krebs
Das Beste aus 40 Jahren
Wir meinen, dass ein Wiedersehen mit einigen unserer Storys Freude machen kann. Dieser Artikel stammt aus OLDTIMER MARKT 2/2001. Die bisher erschienenen Artikel finden Sie hier – weitere sind bereits in Planung. Schauen Sie doch ab und zu mal wieder vorbei!