Der 1956er Opel Olympia und die Berliner Verkehrswende
- 09. November 2022
- Annette Johann
Im harten Kern der Oldtimer-Szene ist er bereits ebenso Legende, wie im Berliner "Graefekietz" in Kreuzberg. Denn dort parkt er seit nunmehr 45 Jahren. Angemeldet und mit stets aktueller TÜV-Plakette. Der 1956 Opel Olympia von Hanns-Lüdecke Rodewald. Rodewald war über 25 Jahre lang Professor an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft und ist jetzt im Ruhestand. Kein Witz, keine Satire, sondern quasi eine Art Langzeitprojekt des Professors, der pikanterweise das Fachgebiet Fahrzeugsicherheit an der HTW Berlin verantwortete und dort weiterhin als Lehrbeauftragter wirkt.
Tatsächlich ist der Caravan, der aussieht, als sei es nach jahrzehntelangem Dornröschenschlaf gerade aus einer undichten Feldscheune befreit worden, nach Rodewalds Angaben komplett sicher und fahrtauglich. Nur eben optisch nicht ganz auf der Höhe. Obwohl sich die Berliner Polizei daran bereits 1995 die Zähne ausgebissen (siehe auch "Der Dicke Hund" in OLDTIMER MARKT 2/1997) und ein Gericht damals entschieden hatte, was im öffentlichen Parkraum zumutbar und legitim ist (Ergebnis: Jeder darf ein angemeldetes Auto im öffentlichen Straßenraum abstellen, so lange er will), rissen die Behördenattacken nicht ab, und Rodewald kämpfte sich mit endlosen Gerichtsfahren durch den Paragraphen-Dschungel, bis er irgendwann eine Ausnahmegenehmigung erstritt, denn Olympia in der Stadt abzustellen. Seit Jahren lebt er nun in der Schönleinstraße 7b in friedlicher Koexistenz mit dem Cafe Zazza, vor dem er die meiste Zeit kunstwerkartig dauerparkt.
Keine Stellplätze mehr im Kiez
Doch nun kommt unerwartet neuer Sprengstoff in die Akte Olympia: So sollen im Rahmen der angestrebten Verkehrswende für ein Modellprojekt im von fast 20.000 Menschen bewohnten Graefekiez alle öffentlichen Parkflächen zu Gunsten einer autofreien Zone entfallen. Und stattdessen dort Spiel- und Fahrradzonen (mit eingeschränkter Autobefahrung) entstehen. So die Idee des grünroten Stadtparlaments des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Und was einer Umfrage im Jahr 2021 zufolge von zwei Dritteln der Bewohner befürwortet wird. Das Projekt soll wissenschaftlich begleitet werden und zunächst auf sechs bis zwölf Monate begrenzt sein. Den Anwohnern wird die Möglichkeit geben, ihre Fahrzeuge für 30 Euro monatlich in einem nahen Parkhaus abzustellen. Allerdings werden die Plätze wohl nicht reichen. Sollte die Idee tatsächlich umgesetzt werden, hofft Rodewald auf eine Ausnahmegenehmigung – ist doch der Olympia schon fast als Teil des Hauptstädtischen Kulturgutes anzusehen. Wir werden weiter berichten.