Das Beste aus 40 Jahren – Motorenbau aus aller Welt
- 26. April 2020
- Red. OLDTIMER MARKT
Werfen Sie mit uns anlässlich der Jubiläen von OLDTIMER MARKT (40 Jahre) und OLDTIMER PRAXIS (30 Jahre) einen Blick zurück auf die schönsten Geschichten aus beiden Magazinen! In OLDTIMER MARKT Sonderheft Nummer 23 ("Meilensteine") warf Chefredakteur Peter Steinfurth einen humorvollen Blick auf den Motorenbau in aller Welt.
So erschien der Artikel in OLDTIMER MARKT Sonderheft 23 "Meilensteine" aus dem Jahr 1999
Was uns bewegt
Alle Wege führen zum Viertakter – Teil 1
Der Motor, Vorname Otto – etwas großartig Kompliziertes, das leider nicht immer funktionierte und etwas genial Einfaches, das die Welt bewegte. Begleiten Sie uns auf einer darwinistischen Reise durch die Evolution des Viertaktmotors.
Wie der Motor, der die meisten von uns bewegt, zu seinem Vornamen Otto kam, ist eine lange Geschichte. Derart lang, dass sie mit allen spannenden und weniger spannenden Details ein Buch füllen würde. Und weil dies kein Buch werden soll, konzentrieren wir uns auf ein wirklich spannendes (und weitgehend unbeachtetes) Detail der Geschichte: Noch bevor Nikolaus August Otto im Jahr 1876 einen liegenden Einzylinder-Viertaktmotor entwickelte, hatte er nämlich bereits 1862 einen phänomenalen Vierzylinder-Viertakter gebaut, der allerdings einen kleinen Makel hatte: Er lief nicht.
Über die Frage, ob der Schwenk vom Vierzylinder zum Einzylinder nun der erste wirkliche Fortschritt oder der erste wirkliche Rückschritt in der Geschichte der Motorenentwicklung war, gehen die Meinungen auseinander.
Über die Frage, ob der Schwenk vom Vierzylinder zum Einzylinder nun der erste wirkliche Fortschritt oder der erste wirkliche Rückschritt in der Geschichte der Motorenentwicklung war, gehen die Meinungen auseinander. Was zeichnet einen guten Motor aus? Dass er immer anspringt? Dass er Temperament und Kraft hat? Dass er wirtschaftlich ist? Die Evolution, so lehrte Charles Darwin lange vor der Erfindung des Otto-Motors, basiert darauf, dass Anpassung an bestimmte Umstände das Überleben sichert, während nicht konkurrenzfähige Kreaturen einfach aussterben. (Eine weniger beachtete Theorie Darwins besagt, dass auf manchen Inseln die Entwicklung nahezu stehenbleiben kann - aber er meinte damit nicht England, sondern die Galapagosinseln, weshalb wir diese an sich interessante These für die Betrachtung des Verbrennungsmotors vernachlässigen können).
Betrachten wir die Evolution der Motoren einmal mit den Augen Darwins: Schon kurz nach dem Urknall in Ottos Werkstatt erklommen die ersten Mutationen die Landmassen neuer Einsatzgebiete. Aus Stationärmotoren wurden Antriebe für Autos, Flugzeuge, Lastwagen, Motorräder, Boote und Kettensägen, und den letzten dampfbetriebenen Dinosauriern blieb nichts anderes übrig, als auszusterben. Doch auch die grausame Auslese unter den Motoren begann. Ein Faktor, mächtiger als die unaufhaltsame Kontinentaldrift, der Treibhauseffekt oder alle Naturkatastrophen zusammen, bestimmte fortan die Evolution des Motorenbaus: das Produktmarketing.
Auf Deutsch: die Lehre von den unerklärlichen Vorlieben der Kundschaft, die immer genau das will, was die Konstrukteure für Unsinn halten.
Motorenbau in England
Richten wir, Charles Darwin zuliebe, zuerst unseren Blick nach England, wo James Watt um 1765 die ersten brauchbaren Dampfmaschinen gebaut hatte. Deren bullige Kraftentfaltung blieb das Ideal der britischen Jünger Ottos. Also brachten sie Konstruktionen zu Papier, deren spindeldürre Kolben unglaubliche Entfernungen vom unteren zum oberen Totpunkt zurücklegen mussten. James Watt hätte es angesichts der riesigen Schwungmassen vor Rührung sicher die Tränen in die Augen getrieben.
Eine Ausfahrt auf den schmalen, holprigen Straßen der Insel hätte allerdings die meisten Kritiker verstummen lassen: Mit urgewaltigem Drehmoment beschleunigt eine solche Maschine selbst im höchsten Gang aus engen Kurven heraus. Das dumpfe Grollen einer jeden Zündung wird zum spürbaren Ereignis aus Sound und Vortrieb – Locomotive breath! Hohe Kolbengeschwindigkeiten? My goodness! Wer fährt von Kurve zu Kurve schon länger als zwanzig Sekunden? Wozu schalten? Im grünen Labyrinth der britischen Insel ist Sir Longstroke noch immer der schwarze Ritter, der die meisten Duelle für sich entscheidet. Nun gut, Lanze und Rüstung wirken im Raketenzeitalter ein wenig antiquiert. Aber auch der weiße Hai hat sich in den letzten zehn Millionen Jahren nicht umschulen lassen.
Das dumpfe Grollen jeder Zündung wird zum Ereignis aus Sound und Vortrieb – Locomotive Breath!
Motorenbau in England
Heben wir also einen Sechszylinder-Jaguar-Motor als würdigen Vertreter dieser edlen Recken auf Sir Lancelot''s Schild und prosten ihm mit einem Glas Guinness zu. Warum gerade ihm? Weil er mit seinen zwei obenliegenden Nockenwellen beweist, dass es den Engländern bei allem Konservativismus nicht ums Sparen ging, und weil er sich über vier Jahrzehnte auf dem Turnierplatz behauptete. To your health, my Lord!
Motorenbau in Italien
Ein Volk, das hunderte von Brücken aus abermillionen von Steinen aufgetürmt hat, um fließendes Wasser für ein Badezimmer mit Fußbodenheizung heranzuschaffen, steht auch 2000 Jahre später noch unter einem gewissen konstruktiven Leistungsdruck. Einer solchen Kundschaft kann man keinen Motor verkaufen, der seine Daseinsberechtigung einzig und allein aus dem nebensächlichen Umstand bezieht, dass er funktioniert. Dann könnte ein Abendessen für vier Personen ja auch aus zwei Kilo Polenta bestehen! Das macht schließlich auch satt. An normalen Wochentagen buchstabiert ein ausgewachsener Italiener das Wort satt etwa so: Aperitivo, Antipasti. Pasta, prima Piatto, secundo Piatto, Insalata. Dolce, Caffè, Digestivo.
Wen wundert es also, dass ein italienischer Wochentags-Motor vom Ventildeckel bis zur Ölwanne aus Leichtmetall besteht, mindestens zwei obenliegende Nockenwellen und zwei Doppelvergaser hat – von einem schlangenhaft verschlungenen Fächerkrümmer ganz zu schweigen. Soll er dann noch für ein wenig Aufmerksamkeit sorgen, sind Doppelzündung, sechs Doppelvergaser und zwölf Zylinder durchaus von Vorteil. Ob das Ganze dann auch noch bei Regen und Kälte funktioniert, oder ob die Kerzen unterhalb von 5000 U/min sofort verrußen, interessiert doch wirklich nur Kleingeister. Lasst uns (nach dem Essen) doch einfach mal 'ne Runde drehen.
Das geht dann so: Carlo spritzt in jeden der zwölf offenen Ansaugtrichter einen Schuss Äther, Aurelio schiebt die externe Starterbatterie auf dem Rollwagen heran und Vittorio drückt den Starterknopf. Acht Zylinder laufen auf Anhieb, worauf Maria eine Runde Grappa spendiert. Vittorio sorgt mit kräftigen Gasstößen für stumme Andacht der Umstehenden, und nach drei, vier Minuten läuft das volle Dutzend annähernd rund. Vittorio schaltet die Zündung aus, und Carlo wechselt schnell die Warmlaufkerzen gegen die anderen. Dann fegt Vittorio auch schon vom Hof. Jenseits der 4000 U/min brüllt der Motor gierig nach mehr. Die Drehzahl steigt, und mit ihr scheint die Leistung zu explodieren. Alltags schaltet Vittorio immer bei 7000, aber zur Feier des Tages dürfen es auch schon mal 8000 U/min sein. Im Rausch der Geschwindigkeit schießt er durch die laue toskanische Nacht. Und allen, die jetzt noch draußen vor den Häusern sitzen, läuft bei diesem Geräusch ein wohliger Schauer über den Rücken. Gibt es tatsächlich Länder, in denen es kalt und regnerisch ist, denkt Vittorio in solch seligen Momenten.
Ob ein Zwölfzylinder auch noch bei Regen und Kälte funktioniert, interessiert doch wirklich nur Kleingeister
Motorenbau in Italien
Zu Hause über seinem Bett hängt eine Zeichnung in einem schlichten goldenen Rahmen. Sie zeigt den Zwölfzylindermotor eines Ferrari 250 GT Berlinetta mit allen beweglichen Teilen. Darunter steht in schlichten Buchstaben: Il Motore piu bello del mondo. Darauf lässt sich anstoßen, am besten mit einem Glas Brunello di Montalcino - auch wenn der dunkler ist als rosso corsa. Salute!
Motorenbau in den USA
So ein kräftiger Rotwein ist natürlich nicht jedermanns Sache. Und bei Licht betrachtet hat eine kalte Coke auch ihre Vorzüge: Sie ist kalt, sie ist eine Coke und außerdem sprudelt sie viel besser. Diese Europäer denken einfach zu kleinkariert. Das kommt von ihren zu engen Straßen, ihren miefigen alten Städten und ihren viel zu kleinen Autos!
Mal ganz ehrlich: Warum 250 PS aus drei Litern herausquälen, wenn 350 PS aus sieben Litern sich mindestens genauso gut anfühlen? Und wenn das nicht reicht, setzen wir am Samstagnachmittag noch 'nen dicken Holley drauf. Tja, so einfach ist das! Die Kunst des Think Big lernt man eben nicht in den Gassen von Neapel, die eigentlich nur für Eselskarren breit genug sind. Man muss als kleiner Junge natürlich nicht unbedingt vom monotonen Auf und Ab texanischer Ölförderpumpen in den Schlaf gewiegt worden sein - aber es erleichtert die Sache irgendwie.
Hier, wo die Straßen bis zum Horizont reichen, ist kein Platz für engstirnige Zurückhaltung. Ein Motor muss sein wie das Land, und das Land ist weit. Nimm dir noch 'ne Coke und lass uns hinters Haus zum Wagen gehen. Also, das hier ist ein 64er Pontiac GTO. Na, sagt dir das was? War das erste echte Muscle-Car. 389 cubic-Inches, das sind runde sechskommadrei Liter. 348 SAE-PS! Der ist in 6,6 Sekunden auf Hundert. Das reichte beim Test von Car and Driver auch für einen Ferrari GTO. Okay, der Ferrari war in den Kurven schneller - aber siehst du hier irgendwo Kurven? Komm, steig ein. Hör' dir den Sound an! Dieses grobschlächtige Bass-Blubbern - that's the Heartbeat of America! Das ist die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Spürst du, wie sich die Karosserie bei jedem Gasstoß neigt? Halt dich fest, es geht los. Spürst du diese unglaubliche Lässigkeit? Der Motor spielt mit dem Gewicht - und wenn du willst, spielt er auch mit den Reifen. Speed-Limit? Hier gibt's genauso wenige Cops wie Kurven! Und hinter dem Horizont geht's endlos geradeaus...
Hier, wo die Straßen bis zum Horizont reichen, ist kein Platz für engstirnige Zurückhaltung. Ein Motor muss sein wie das Land, und das Land ist weit
Motorenbau in den USA
Natürlich, in der Hall of Fame des US-amerikanischen Motorenbaus gibt es noch ganz andere Größen. Cadillacs V16 etwa oder den Reihenachter mit Kompressor des Duesenberg Model J. Aber der US-Motor bleibt der V8. Egal, ob er eine 427er Shelby Cobra antreibt oder ein gelbes Checker-Taxi. Schade nur, dass die Amis den V8 nicht erfunden haben - ein verchromter Sockel im Museum of Modern Art wäre dem Urahn sicher gewesen. So müssen wir unseren Bourbon allein erheben: Cheers, to absent friends!
- Text Peter Steinfurth
- Illustrationen Lothar Krebs
Weiter zu Teil 2
Im zweiten Teil der Motorenbau-Weltreise schauen wir auf Deutschland, Frankreich und Japan. Hier geht es zu Teil 2!
Das Beste aus 40 Jahren
Wir meinen, dass ein Wiedersehen mit einigen unserer Storys Freude machen kann. Dieser Artikel stammt aus OLDTIMER MARKT Sonderheft 23 "Meilensteine" von 1999. Die bisher erschienenen Artikel finden Sie hier – weitere sind bereits in Planung. Schauen Sie doch ab und zu mal wieder vorbei!