Horst Lichter: Zwischen Küche, Trödel und Garage
- 06. Juni 2018
- Red. OLDTIMER MARKT
Der Kumpel mit dem Oldtimerfimmel
„Wenn ich so viel vom Kochen verstehen würde wie von alten Autos, dann wär’ Johann Lafer mein Lehrling.“ Der Mann mit dem markanten Schnurrbart blickt schelmisch über seine kreisrunde Messingbrille, während er mit der rechten Hand sorgfältig hellbraunen Grobschnitt in eine Tabakpfeife stopft. Dann zischt ein Streichholz und nur wenige Sekunden später ist der ganze Kopf samt Bart und Brille in einer dicken fetten Rauchwolke verschwunden. Es duftet warm und würzig, fast ein bisschen erdig. Horst Lichter hat es sich in seinem scheckigen Fellsessel vor der bunten Bücherwand gemütlich gemacht und streckt die Beine aus. „Ich bin Auto-verrückt und Motorrad-krank“, tönt es aus der Wolke. „Das geht nie mehr weg. Zum Glück.“
Horst Lichter ist Koch, Moderator, Entertainer, Comedian, Buchautor und Oldtimer-Liebhaber in Personalunion. Vor allem aber ist er ein verbindlicher, herzlicher Kumpel. Einer ohne Allüren und ohne schlechte Laune. Ein großer Bub, der seine Freude über die schönen Dinge des Lebens gern teilt. Rund um die Uhr begeisterungsfähig und immer voller Ideen. Langeweile? Wie schreibt man das?
WIR SIND ZU GAST bei dem quirligen Multitalent, haben uns ebenfalls in die urigen Fell-Fauteuils sinken lassen und blicken mitten ins Paradies – in eine herrliche Melange aus Wohnzimmer, Bibliothek, Garage, Werkstatt und Museum. Wunderschöne Oldtimer, funkelnde Trophäen, Fachliteratur und zahllose Modellautos in allen Größen und Farben, wohin das Auge blickt. Unter all den schweren Kalibern vom Schlage einer Münch Mammut oder der Kawasaki Z 900 tanzt ein zierliches Zweirad frech aus der Reihe: eine weiße Yamaha TY 50 Trial. Zustand: Eins plus mit Sternchen.
„Is’ ’ne lange Geschichte“, holt der 54-Jährige aus. „Als ich 16 war, musste natürlich ein Moped her. Nicht irgendeins, sondern eine Hercules Ultra. Mit Abstand der schärfste Pfeil im Köcher und ein Garant, dass die Mädels Schlange stehen. Also genau das Richtige für den kleinen Horst. Wie praktisch, dass mein Vater einen Bausparvertrag für mich abgeschlossen hatte…“
"Wir geh’n erstmal zum Kaufhof und trinken Kakao"
„Und dann kam endlich der große Tag: Ab nach Grevenbroich zum Hercules-Händler. Mit Muttern. Die wollte natürlich vorher wissen, was ich mir da für einen Feuerstuhl ausgesucht hatte. Und wie teuer der war. Leider hatte der Chef keine Ultra am Lager, sondern nur einen Prospekt. Und da stand unglücklicherweise dick und fett der Preis drin: satte 3640 Mark! Meine Mutter hat einmal trocken geschluckt und mich dann aus dem Laden gezogen. ,Komm Jung’, die gefällt uns nicht. Wir geh’n erstmal zum Kaufhof und trinken Kakao.’ Der Kakao hat nicht geschmeckt und Mutters Predigt auch nicht. Aber schließlich hab’ ich eingesehen, dass der schlanke Monatsverdienst meines Vaters im Kohleabbau und der Mopedpreis nicht kompatibel waren.“
Aus dem Pfeifenkopf steigt mittlerweile nur noch ein zarter Rauchfaden auf, von der hellen Glut ist nur ein einsamer glimmender Krümel übrig geblieben. Ein neues Zündholz blitzt auf, und der Horst ist wieder im Nebel verschwunden. „Ich habe mich dann für die kleine Trial-Yamaha entschieden – die hat zwar nur die Hälfte gekostet, fuhr aber auch scheiße. Bei 40 war Schluss. Egal ob bergauf, bergab, allein oder mit Freundin, mehr als 40 waren nie drin. Eine peinliche Lachnummer! Zum Glück hatte Händler Karl Emonts Mitleid: Nach der ersten Inspektion war sie doppelt so schnell. Bei der nächsten Tuning-Stufe hab’ ich selbst die Feile angesetzt. Danach lief der Ofen 100. Aber nur kurz – dann war der Motor innen geschmolzen…“
OFFENSICHTLICH HAT DIE KLEINE YAMAHA einen bleibenden Eindruck hinterlassen, denn vor ein paar Jahren beschloss der sympathische Rheinländer: „So’n Stoppelhopser muss wieder ins Haus!“ Und auch dreieinhalb Jahrzehnte später konnte Meister Emonts helfen. „Der Karl hat eine gut erhaltene TY aufgetrieben und mit etlichen Neuteilen aus seinem Lagerbestand in einen perfekten Zustand versetzt. So gut waren die nicht mal ab Werk.“
Jugendtraum – etwas später erfüllt
Und weil Horst Lichter inzwischen seinen Bausparvertrag ausgezahlt bekommen hat, waren sogar noch ein paar Euro für den Babo aller Mopeds übrig: die feuerrote Ultra. Zustand – siehe Stoppelhopser. Doch eigentlich waren es drei Mopeds, die in Horsts Jugend eine prägende Rolle spielten. „Ich hab’ mir damals allwöchentlich die Hercules K50RL von meinem Kumpel Peter ausgeliehen. Aber nur zum Felgen putzen. Dabei hab’ ich dann das Hoftor offen gelassen, damit jeder dachte, das sei mein Moped. Zu der Zeit hatte ich ja noch nicht mal einen Führerschein. Ich hab’ dann allerdings sehr schnell festgestellt, dass das Ding auch ohne Lappen fährt.
Erst ganz vorsichtig die Straße rauf und runter, dann um den Häuserblock und zum Schluss mit Vollgas in den Nachbarort. Ich konnte gar nicht genug davon kriegen. Die Polizei wohl auch nicht, die war mir jedenfalls rasch auf den Fersen. Naja, wenigstens hatte ich einen milden Richter: Mit sechs Punkten und 40 Mark war ich dabei. Hätte schlimmer kommen können.“ Heute steht eine K50RL im unrestaurierten Originalzustand friedlich neben der Ultra – und wird definitiv im Lichter’schen Besitz keine Punkte mehr sammeln. „Nicht einen einzigen Meter fahre ich mit diesen Mopeds. Dann wäre der schöne Traum wahrscheinlich hinüber…“
JETZT IST DIE PFEIFE ENDGÜLTIG AUS. Lichter lehnt den warmen Handschmeichler bedächtig an den Rand des Aschenbechers, springt auf und schreitet eilig an seiner Zweiradkohorte vorbei. „Komm mal mit, ich muss Dir was zeigen. Guck Dir diesen Lack hier an.“ Der Koch bleibt vor einem schwarzen Mercedes 280 SE Automatic Coupé stehen, das unter einer soliden Hebebühne parkt, beugt sich weit über die gewölbte Motorhaube und lässt seine Hand wenige Zentimeter über der makellosen Oberfläche schweben. „Wie Glas, da rutscht ’ne Fliege drauf aus.“ Der ultraglänzende W111 ist nagelneu im Lichter-Paradies und funkelt die restliche Flotte glatt an die Wand.
„X-mal lackiert, geschliffen, lackiert und nochmal geschliffen, ein unbeschreiblicher Aufwand“, begeistert sich der Oldtimer-Junkie und öffnet behutsam die schwere Motorhaube. „Innen geht’s genauso top weiter. Alles sitzt da, wo’s hingehört.“ In der Tat: Jedes noch so winzige Aufkleberchen, jedes Kabel, jeder Ölwechselanhänger sieht aus, als hätte Mercedes-Vorstand Karl Wilfert einst persönlich Hand angelegt und das rollende Kunstwerk anschließend für die nächsten fünfzig Jahre eingetuppert. Kurzum, ein Auto, bei dem jeder Fingerabdruck ein Schandmal wäre – und eines, das definitiv zum Fahren zu schade ist. „Nee“, interveniert Horst energisch. „Der muss auf die Straße, dafür isser doch gebaut. Hat doch keiner was davon, wenn ich ihm hier ein Mausoleum baue!“
Das Dilemma mit dem E-Type
RUND ANDERTHALB METER neben dem Untertürkheimer Schönling, nur von einer azurblauen Vespa getrennt, parkt das britische Sportwagen-Statement: ein E-Type. In Carmen Red. Kochdeutsch: Tomatenrot. „Ich liebe dieses Auto – obwohl es ein echtes Sorgenkind ist. Schlimme Geschichte, willst Du gar nicht wissen.“ Doch, will ich! Auweia, scheint wirklich schlimm zu sein, Horst lässt sich wieder in den Sessel plumpsen, nippt an heißem Kaffee und sucht den Pfeifenstopfer.
„Vor zwei Jahren hab’ ich ihm einen Satz Borrani-Felgen spendiert. Richtig schön breit, wie’s sein muss. Die dünnen Serienreifchen sehen ja kacke aus. Ein Autohändler im Ort sollte die Schlappen aufziehen – aber stattdessen meldete er sich nach 14 Tagen, um mir mitzuteilen, dass die Räder nicht ans Auto passen. Also: Auf zur nächsten Werkstatt. Und die stellten mir ein paar Tage später endlich den Jaguar mit seinen neuen Felgen vor die Tür. Dafür hatte er dann dicke Beulen im Dach und in der Haube, der komplette Lack war verkratzt und beide hintere Kotflügel waren eingerissen! Ein Bild des Jammers, ich hätte heulen können. Der Händler zuckte nur mit den Schultern und erklärte, dass er die Kotflügel mit einem Holzbalken gewaltig aufbiegen musste, damit die Pellen ins Radhaus passen. Er wusste offenbar nicht, dass man zum Radwechsel den Sturz verstellen muss…“
AUF DEM KLEINEN BEISTELLTISCH kommt hinter der stilisierten Alu-Skulptur eines Peugeot 302 Darl’Mat der Pfeifenstopfer zum Vorschein. Streichholz Nummer drei blitzt auf, ein bisschen kunstvoll auf der Asche herumdrücken, und im Nu duftet’s wieder wie bei Mister Dunhill im Herrenzimmer. „Dann ging’s aber erst richtig los“, grummelt Horst und man merkt, dass auch einer echten Frohnatur gelegentlich das Lachen vergehen kann. „Weil die Motorhaube übel verbeult war, habe ich eine neue besorgt. Schweineteuer, die Dinger. Der Karosseriebauer hat dann nochmal ’ne Ewigkeit gebraucht, und als schließlich alles fertig war, sah der Jaguar aus wie ’ne Karikatur. Die Nase stand vorn viel zu hoch, außerdem war das Auto nun eine Handbreit kürzer und die Radausschnitte passten nicht mehr. Allein für das Anpassen der Haube berechnen Jaguar-Spezialisten rund 18 Arbeitsstunden. Jetzt sah’s aus als hätte das jemand in 18 Minuten gemacht – und alles abgesägt, was übersteht.“
„Das Ende vom Lied: Ich musste die verbeulte Original-Front aufarbeiten lassen, und anschließend alles zum Lackierer bringen. Zu einem renommierten Spezialbetrieb, der im wahren Leben Flugzeuge lackiert. Und das war auch schon der nächste Fehler. Als mir der Chef Monate später stolz das frischgetünchte Auto präsentierte, hab’ ich mir erstmal die Brille geputzt. Die Karre war komplett wellig. Wie ’ne Achterbahn. Katastrophal, aber ich habe was dazugelernt: Flugzeuge werden nicht gespachtelt, da wird so lange auf dem Blech herumgekloppt, bis es einigermaßen glatt aussieht. Jedenfalls von weitem. Und darum solltest Du Dir diesen E-Type nicht aus der Nähe ansehen. Trotz allem – der bleibt jetzt wie er ist!“
Unter den markanten Tabakduft mischt sich langsam, aber sicher ein verlockendes Odeur aus Richtung der Küche. Porzellan klappert leise und wenn man genau lauscht, hört man das Schaben eines Holzkochlöffels. „Schatzi hat Kartoffelsuppe gemacht“, sagt Horst Lichter. „Mit lecker Würsten aus der Region.“
Die falschen Servietten
SZENENWECHSEL. Die Lichter’sche Küche ist eine Wucht. In der Mitte thront ein mächtiger Herd mit allem Pipapo, rundum offene Regale, ein mannshoher Kühlschrank und an den Wänden hängt ein bunter Bildermix. Vor der Fensterfront zieht eine riesige antike Berkel-Schinkenschneidemaschine alle Blicke auf sich. Model 5, rot mit reichlich Chrom. Eine echte Augenweide. Wirklich einladend sieht’s hier aus, urig und gemütlich. Und während Nada Lichter, die Chefin des Hauses, mit Salz und Liebe die Suppe abschmeckt, passiert das Unfassbare, Schatzi ist außer sich: Horst hat die falschen Servietten rausgesucht. Die ollen Papierdinger! Wenn Besuch da ist! Geht ja gar nicht! Wir bestehen auf Papier. Die Kartoffelsuppe schmeckt dermaßen gut, dass wir uns den Mund sogar mit einer Zeitung abgewischt hätten!
Doch was, um alles in der Welt, hat das rheinländische Urgestein Horst Lichter vor gut fünf Jahren in den Schwarzwald gelockt? Weg aus Rommerskirchen, wo er vor mehr als 20 Jahren seine urige Oldiethek mit all ihren mobilen und immobilen Schätzen und Antiquitäten eröffnet hat. Weg von dort, wo er aufgewachsen ist? Horst teilt mit Eifer die nächste Suppenrunde aus: „Ich wusste schon immer, dass ich nicht ewig in dieser Region bleiben würde. Am liebsten wär’ ich in die Eifel gezogen. Tolle Natur, ehrliche aufrichtige Menschen – und herrlich nah am Nürburgring…“ Der Koch zwinkert uns zu und schneidet frisches Brot. „Dass meine persönliche Eifel jetzt in den Süden der Republik gerutscht ist, liegt daran, dass uns ein guter Freund dieses sonnige Fleckchen schmackhaft gemacht hat. Und dass wir hier dieses schöne Haus gefunden haben. Mit einem Mini-Kreisverkehr im Hof – davon hab’ ich schon immer geträumt.“
Kleiner ist feiner
UND SO IST BEIM UMZUG ins Markgräflerland eine große Portion Vergangenheit auf der Strecke geblieben. Von vielem, was sich im Laufe von Jahrzehnten ansammelte, hat sich Lichter getrennt, getreu seinem Motto: Wahre Größe ist, wenn man auch loslassen kann. Und er musste viel loslassen. Sehr viel sogar. „Zeitweise hatte ich sieben Scheunen in der Nachbarschaft angemietet, um all das alte Zeug unterzubringen. Passiert mir nicht noch einmal. Meine Sammlung ist klein, aber fein – und damit das so bleibt, muss etwas Altes gehen, wenn etwas Neues ansteht.“
Rein zufällig steht gerade was Neues an. Zeitgleich mit der dritten Fuhre Suppe kommt ein iPad auf den Esstisch. Horst wurschtelt und wischt mit dem Zeigefinger durch unzählige Bilderordner, bis plötzlich ein flacher roter Sportwagen auf den Bildschirm rutscht. „Ist der nicht geil? Ein Dino Sport Spider. Steht kurz vor der Vollendung, und wenn alles klappt, wird er pünktlich zum Saisonstart fertig.“
Peu à peu erfüllt sich der kochende Entertainer seine zwei- und vierrädrigen Jugendträume. „Mein Bank-Berater hat vor einigen Jahren die Hände überm Kopf zusammengeschlagen, als ich ihm erzählt habe, dass ich mein Erspartes gern in alte Autos und Motorräder stecke. Er wollte mir lieber irgendwelche Fonds verkaufen, aber ich kenne nur Brühe. Da hab’ ich die Finger von gelassen. Für mich ist ein Oldtimer kein totes Anlageobjekt, sondern ein lebendiger Spaßmacher. Aber davon abgesehen – wenn ich mir heute die magere Fonds-Rendite anschaue, habe ich wohl alles richtig gemacht. Das hat sogar der Bänker erkannt…“
Zum Schluss weiht uns Horst Lichter noch in seine geheimen mobilen Zukunftswünsche ein: Ein alter Opel GT dürfte es noch sein. Im Top-Zustand, versteht sich. Oder ein Karmann Ghia. Gern auch mit richtig dickem Motor. „Muss nicht original sein. Ihr wisst ja – bei mir sitzt das Original am Lenkrad…“
Epilog
Zumindest einen Wunsch hat sich Horst Lichter erfüllt: Mittlerweile ist ein silberner Opel GT in die Garage im Schwarzwald eingezogen – natürlich mit dicker 2,2-Liter-Einspritzmaschine und schicken Kreuzspeichen-Alurädern. Wie gesagt, es muss eben nicht immer original sein…
Text: Martin Brüggemann, Fotos: Stephan Lindloff