Überflieger aus Ingolstadt
- 26. Mai 2023
- Red. OLDTIMER PRAXIS
Ran an die etablierte Oberklasse – und zwar mit Topspeed! So in etwa wird die beherzte Zielsetzung gelautet haben, mit der sich die bis in die Haarspitzen motivierten Audi-Ingenieure bei der Entwicklung des Typs 44 ans Werk machten, nichts weniger als die „schnellste Serienlimousine der Welt“ auf die Räder zu stellen.
Mit einem provokanten Fragezeichen versehen, lanciert auto motor und sport diese Formulierung erstmals publikumswirksam, als das Fachmagazin den brandneuen Audi 200 Turbo auf dem Titelcover im Juni 1983 mit einem passenden, dynamischen Fahrfoto in der nördlichen Sahara präsentiert. Lange schwelt danach die Diskussion darüber, ob Ingolstadt mit dem Newcomer denn nun tatsächlich den prestigeträchtigen Titel für sich beanspruchen kann…
Fakt ist, dass der flinke, aber im Auftreten eher zurückhaltende Audi kurze Zeit später im ams-Test spektakuläre 233 km/h Spitze läuft – und damit immerhin zu veritablen Platzhirschen wie dem 500er-Mercedes der S-Klasse oder Jaguar XJ12 aufschließt. Wirklich überflügeln kann er allerdings nur das Topmodell der bajuwarischen Konkurrenz, den seinerzeit ebenso mit Turbolader ausgerüsteten BMW 745i der Baureihe E23. Der zwar keineswegs unter Leistungsmangel leidet, dessen kantige (und schwere) Karosserie dem Vortrieb jedoch klare Grenzen setzt.
Dem mit nur rund 1300 Kilo verblüffend leichten und äußerst strömungsgünstigen 200 Turbo (cW=0,33), der unübersehbar auf dem fast baugleichen „cW-Weltmeister“ Audi 100 basiert, genügen zum Topspeed dagegen gerade mal 182 PS. Produziert wird die Leistung, na klar, vom kernigen, mit einem KKK-Lader kombinierten Fünfzylinder.
Dabei handelt es sich ums weiterentwickelte Triebwerk der sogenannten dritten Turbo-Generation. Dessen erste, 170 PS starke Baustufe debütierte Ende 1979 noch im 2005T genannten 200er des Typs 43. 1980 kam dann mit dem legendären Quattro die klar verbesserte, vor allem durch einen Ladeluftkühler optimierte Version (die hier 200 PS produziert). Nochmal eine Spur ausgereifter, überzeugt der frisch überarbeitete Fünfzylinder nun mit besserem Ansprechverhalten und weniger ausgeprägtem „Turboloch“, was unter anderem aus der auf 8,8:1 erhöhten Verdichtung sowie einem neu konstruierten Saugrohr resultiert. Weitere Leckerlis sind die vollelektronische Zündung mit Klopfregelung, eine Leerlauffüllungsregelung sowie die verbrauchsmindernde Schubabschaltung der Bosch K-Jetronic, die wie üblich für die Kraftstoffeinspritzung sorgt.
Was die Karosserie betrifft, profitiert der 200 Turbo stilistisch vom durchgezogenen Leuchtenband am Heck sowie vor allem den etwas flacheren, dank der Verlegung der Blinker in die Stoßstange nach außen gerückten Scheinwerfer. Die dadurch gefühlt breitere Front unterstreicht noch die markante Bugschürze, die sportlich tief heruntergezogen ist. Zusammen mit den 15-Zoll-Rädern sorgt dies für einen viel stattlicheren Auftritt als beim „kleineren“ Audi 100 – von dem sich der PS-starke Bruder aber ansonsten nicht allzu deutlich distanzieren kann.
Das gelingt dafür fahrwerksseitig (mit angepassten Federn/Dämpfern plus Stabi hinten) und vor allem in punkto Fahrleistungen umso besser. Und zwar nicht nur in Sachen Höchstgeschwindigkeit: Auch handgeschaltete 8,3 Sekunden auf Tempo 100 sind 1983 eine echte Ansage – vor allem für eine viertürige, immerhin 4,80 Meter lange Limousine!
Die Phalanx der „Großkopferten“ kann Audi damit zumindest punktuell durchbrechen, selbst wenn es (noch) nicht zum Durchmarsch in die Oberklasse reicht. Auch nicht mit weiteren Ablegern des Typs 44, die sukzessive bis zum Ende der Baureihe 1991 nachgelegt werden. Doch ein echtes Ausrufezeichen hat Ingolstadt mit dem überzeugenden 200 Turbo allemal gesetzt! Das erkennt auch die Konkurrenz – die vom einst so belächelten Außenseiter fortan richtig unter Druck gesetzt wird…