Toxische Ehe
- 24. Mai 2023
- Norman Gocke
Vor etwas mehr als 25 Jahren, am 7. Mai 1998, gaben die Daimler-Benz AG und die Chrysler Corporation auf neutralem Boden um sieben Uhr morgens in London ihren Zusammenschluss bekannt. Amerikanische Aktionäre und Autofans befürchteten eine Übernahme Chryslers durch Daimler, aber sowohl der Vorsitzende der Daimler-Benz AG, Jürgen Schrempp, als auch Chrysler-CEO Robert Eaton betonten, dass es sich um eine Fusion auf Augenhöhe handeln würde.
Schrempp und Eaton agierten als vorstandsvorsitzende Doppelspitze und Vorstandssitzungen wurden abwechselnd in Stuttgart oder in der Chrysler-Konzernzentrale in Auburn Hills abgehalten. Der juristische Sitz der Aktiengesellschaft war allerdings alleinig Stuttgart und die DaimlerChrysler AG somit ein deutsches Unternehmen. Nachdem Robert Eaton, der am 1. Januar 1993 Lee Lacocca als CEO abgelöst hatte, sein Amt zum 1. April 2000 niederlegte und aus dem Konzern ausschied, wurde die amerikanische Befürchtung wahr und Jürgen Schrempp war fortan alleiniger Vorstandsvorsitzender.
Zahlreiche US-Manager gingen aufgrund der deutschen Dominanz im Hause in Frührente oder wechselten den Arbeitgeber, Chrysler-Chef James Holden wurde sogar von Schrempp gefeuert und durch einen Deutschen, Dieter Zetsche, ersetzt. DaimlerChrysler wurde zusehends zu einem deutschen Unternehmen, und das nicht mehr nur der Meldeadresse zufolge. “Die Deutschen, allen voran Schrempp, gaben sich autoritär und tolerierten keine Kritik seitens ihrer US-Führungskräfte, die allmählich verstanden, dass sie bestenfalls noch Juniorpartner waren”, so Autor Charles K. Hyde in “Riding the roller coaster - A history of the Chrysler Corporation”.
Zwar handelte es sich für Mopar-Fans um eine deutsche Übernahme durch die Heckklappe, aber eigentlich hatte sich Daimler die größeren Probleme ins Haus geholt. Chrysler schrieb immer größere Verluste, die zu immer stärkerem Unmut in Stuttgart führten. Im dritten Quartal 2000 handelte sich DaimlerChrysler 512 Millionen Dollar Verlust ein, die Aktie war von 108 Dollar auf 40 abgestürzt. Mit der Aussage “Ich bin ein Schachspieler, ich spreche normalerweise nicht über den zweiten oder dritten Zug.
Die Struktur, die wir jetzt mit Chrysler haben, war immer die Struktur, die ich wollte. Wir mussten einen Umweg machen, und das war aus psychologischen Gründen notwendig. Wenn wir gesagt hätten, Chrysler wird eine Abteilung, hätte auf deren Seite jeder gesagt: Wir kommen so auf keinen Fall ins Geschäft. Aber es ist genau das, was ich wollte”, in einem Interview mit der Financial Times im Oktober 2000 machte sich Schrempp in Auburn Hills endgültig unbeliebt.
2001 kam es zu Verlusten von annähernd vier Milliarden Dollar, Chrysler-Chef Zetsche gelang es immerhin 2002 nach einem Sparkurs wieder in die Gewinnzone zu fahren. Mitte 2007, zwischenzeitlich war Zetsche als Vorstandsvorsitzender nachgerückt, veräußerten die Schwaben dennoch 80,1 Prozent ihrer Anteile, die restlichen 19,9 Prozent folgten im Spätsommer desselben Jahres. Während der Fusion war der Wert Chryslers um circa 35 Milliarden gesunken, der von Daimler sogar um 50 Milliarden Euro (2005). Vor der Hochzeit hatte Chrysler noch schwarze Zahlen im Milliardenbereich geschrieben, 2003 machte der drittgrößte US-Autokonzern einen Quartalsverlust von beinahe einer Milliarde Euro.
Durch die kurze Affäre und damit einhergehender Sparmaßnahmen verlor die Marke Mercedes-Benz weiter an Vertrauen und Renommee, eine Entwicklung, deren Grundstein die E-Klasse der Baureihe 210 bereits 1995 gelegt hatte. Die Amerikaner holten trotz hoher Verluste bis zur Scheidung materiell deutlich mehr raus: Der Chrysler Crossfire basierte auf dem SLK, der 300C hat viele Komponenten der E-Klasse W210 an Bord, und noch heute, bereits längst unter dem Stellantis-Dach, basiert das Fahrwerk des aktuellen Dodge Challenger SRT Demon 170 mit 1039 (!) PS ab Werk immer noch auf Komponenten der Mercedes-Benz Baureihen W211 und W220. Ausgerechnet schwäbische Technologie sorgte mit dafür, dass bei Chrysler das Muscle Car zurückkehrte.