INTERVIEW MIT MARCUS BREITSCHWERDT VON MERCEDES-BENZ HERITAGE

Mercedes-Benz übernimmt Teile von Kienle

Szenekenner hatten es bereits vermutet, nun ist es offiziell: Mercedes-Benz Heritage hat zum 1. Februar Teile des insolventen Restaurierungsbetriebs Kienle Automobiltechnik übernommen. Der war im Frühjahr 2023 wegen manipulierter 300 SL in die Schlagzeilen geraten. OLDTIMER MARKT sprach mit Marcus Breitschwerdt, Executive Vice President Mercedes-Benz AG und Head of Mercedes-Benz Heritage, über die Hintergründe.

OLDTIMER MARKT: Was verspricht sich Mercedes-Benz Heritage von der Übernahme verschiedener Teilbereiche der Firma Kienle Automobiltechnik und was genau wurde übernommen?
Marcus Breitschwerdt: Als weiteren Schritt in ihrer Wachstumsstrategie hat die Mercedes-Benz Heritage GmbH unter anderem Ersatzteile und Arbeitsmittel der ehemaligen Kienle Automobiltechnik GmbH zum 1. Februar 2024 erworben. Darüber hinaus freuen wir uns, dass ein Großteil der Fachkräfte unseren Classic-Bereich verstärken wird.

OLDTIMER MARKT:Deckt der Ersatzteilbestand nur die Modelle ab, für die Kienle in erster Linie bekannt war, also 300 SL, W113 und 600, oder auch andere, etwas volkstümlichere Modelle und/oder jüngere Baujahre? Und kann man sagen, um wie viele Einzelposten es sich handelt?
Marcus Breitschwerdt: Im Classic-Bereich von Mercedes-Benz sind aktuell über 160.000 aktive Ersatzteilpositionen im System hinterlegt. Dies betrifft alle Fahrzeuge, deren Produktionsende 15 Jahre und länger zurück liegt. Wir freuen uns, darüber hinaus nach einer umfangreichen Inventur auch diesen einzigartigen Ersatzteilbestand ergänzen zu können.

OLDTIMER MARKT:Hat Mercedes-Benz schon vor der Polizeiaktion am 31. Mai 2023 Überlegungen angestellt, die Firma Kienle zu übernehmen?
Marcus Breitschwerdt: Im Rahmen der beschriebenen Strategie prüfen wir kontinuierlich verschiedene Möglichkeiten zum Wachstum.

OLDTIMER MARKT:Kienle war ja keine kleine Firma. Welche Verhältnismäßigkeit herrscht zukünftig unter den Mitarbeitern? Sind die Ex-Kienle-Leute in der Mehrheit?
Marcus Breitschwerdt: Wir konnten durch die Verstärkung unsere reine Werkstattkapazität ungefähr verdoppeln. Außerdem ist die Werkstatt integraler Bestandteil der größeren Mercedes-Benz Heritage GmbH, die mehr als 200 Kolleginnen und Kollegen in den Bereichen Sammlung, Museum, Archiv, Teilgroßhandel und Events umfasst. Damit ist sie bestens gewappnet, zu unserer Wachstumsstrategie weiter erfolgreich beizutragen.

OLDTIMER MARKT:Wird Mercedes-Benz Heritage längerfristig am Standort Heimerdingen festhalten oder gibt es Pläne für einen Umzug?
Marcus Breitschwerdt: Wir planen neben dem Classic Center in Fellbach eine zweite Betriebsstätte im Raum Stuttgart zu eröffnen. Mittelfristig soll dort modernes Arbeiten mit klassischen Fahrzeugen möglich sein. Als Hersteller sehen wir uns in der Pflicht, nicht nur bei Restaurierungen, sondern auch bei Servicearbeiten den Benchmark-Standard zu setzen.

OLDTIMER MARKT:Auch wenn Mercedes-Benz Heritage nicht Rechtsnachfolger von Kienle wird, wird man in Zukunft Zugriff auf jene Unterlagen haben, die zurzeit noch zu Ermittlungszwecken beschlagnahmt sind und die womöglich Licht ins Dunkel um die Manipulationen der Firma Kienle bringen?
Marcus Breitschwerdt: Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns zu laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und des Landeskriminalamtes nicht äußern.

OLDTIMER MARKT:Inzwischen ist von rund 130 mehr oder weniger von der Firma Kienle manipulierten 300 SL die Rede. Wird Mercedes-Benz aktiv gegen nachweislich komplett nachgebaute und nicht nur veränderte Autos vorgehen? Es handelt sich schließlich um eine Form der Produktpiraterie.
Marcus Breitschwerdt:Produktpiraterie ist ein Thema, das wir bei Mercedes-Benz sehr ernst nehmen. Wir haben bereits in der Vergangenheit rechtliche Schritte unternommen, wenn es zu Verletzungen unserer Marke gekommen ist, und werden dies auch zukünftig so handhaben. Bei Mercedes-Benz Classic stellen wir höchste Ansprüche an Originalität und Authentizität. Für Kunden, die ihren Mercedes-Benz-Klassiker auf Herz und Nieren prüfen lassen wollen, bieten wir eine Hersteller-Expertise an. Mit dieser geben wir den Eigentümern ein transparentes Bild zum Zustand ihres Fahrzeugs – objektiv und wertneutral.

OLDTIMER MARKT:Ein Blick über den Tellerrand der Marke: Ein Ferrari ab einer gewissen Preisklasse lässt sich ohne Zertifizierung durch Ferrari Classiche heute nur noch schwer verkaufen. Möchte Mercedes-Benz Heritage auch etwas Vergleichbares etablieren?
Marcus Breitschwerdt: Das Thema Originalität ist von zentraler Bedeutung für die Classic-Szene. Aus diesem Grund bieten wir schon seit vielen Jahren eine Hersteller-Expertise für besonders hochwertige Fahrzeuge an. Auch dieses Angebot wollen wir zukünftig weiter ausbauen, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden.