Leidenschaft nach deutscher Industrienorm
- 05. April 2023
- Norman Gocke
-
Dieser De Tomaso Mangusta ist seit bald 50 Jahren in einer Hand und somit älter als die rote 07er-Nummer für Oldtimer, die erstmals 1994 ausgegeben wurde.
-
Lotus Omega, seit Neuzulassung in einer Hand. Bei 3,6 Litern Hubraum würde sich in diesem Fall trotz Katalysator ein H-Kennzeichen lohnen, der Erstbesitzer ist aber zum Glück anderer Meinung.
-
Dank nachgerüstetem dohc-Motor aus einem Ford Sierra inklusive eingetragenem G-Kat, ist dieser Ford Granada I vielleicht der letzte seiner Art in Deutschland mit DIN-Kennzeichen.
-
Tagfahrlichter wurden bereits als Kniefall vor der Moderne nachgerüstet, zum Glück durfte aber das Kennzeichen bleiben. 1989, im Jahr des Calibra, wurden reflektierende Kennzeichen in Deutschlands erstmals verpflichtend
-
Hier passt fast alles: Opel Kadett B Caravan mit DIN-Kennzeichen aus Groß-Gerau. Noch passender wäre nur Bochum gewesen.
-
Wurde dieser Omega B damals über den Mitarbeiterverkauf bezogen und als letzter großer Opel mit Heckantrieb seitdem bewusst gepflegt und nicht dem Rost preisgegeben? Das GG-DIN sowie der Parkplatz mit dem Opel-Altwerk im Hintergrund deuten zumindest darauf hin.
Es gibt eine Oldtimer-Subkultur in Deutschland, der es primär nicht um alte Autos geht, sondern um ihre Kennzeichen. Die konspirativen Treffen finden online, in der Facebook-Gruppe “DIN-Kennzeichen” statt. Wie der Name schon sagt, dreht es sich ausschließlich um Fahrzeuge, die immer noch mit Nummernschildern unterwegs sind, die mit der Norm-Schrift nach DIN 1451 geprägt wurden.
Am 14. März 1956 wurden die weißen Kennzeichen mit ihrer sachlichen, schwarzen Schrift in der Bundesrepublik eingeführt und lösten sukzessive die bisherigen Besatzungskennzeichen ab, die nun nur noch bis zum 30. Juni 1958 gültig waren. Ab 1967 kamen erstmals auch reflektierende Nummernschilder in Umlauf, bisher aber auch freiwilliger Basis und gegen Mehrpreis; verpflichtend wurden sie aus Sicherheitsgründen erst ab dem 29. September 1989.
Kurz nach der Wiedervereinigung, am 1. Januar 1991, wurde das westdeutsche Kennzeichensystem auch in der ehemaligen DDR eingeführt, wobei die bisherigen DDR-Kennzeichen noch bis zum 31. Dezember 1993 ihre Gültigkeit behielten. Doch bereits 1994 hielt der Albtraum aller Ästheten und Freunde der Typographie Einzug: das Eurokennzeichen. Wobei der blaue Balken mit EU-Sternen und Länderkürzel nicht das Problem war, sondern die grausige, fälschungssichere und maschinenlesbare FE-Schrift, die es zum Beispiel jeder Mautbrücke leichter macht, das Kennzeichen zu erfassen. Um Verwechslungen zwischen einzelnen Buchstaben oder Zahlen zu vermeiden, oder Verfälschungen zu erschweren, sind die Euro-Nummernschilder ein typographischer Graus.
DIN-Kennzeichen wurden anfangs noch bis zum 31. Oktober 2000 parallel ausgegeben, erst zum 1. November 2000 wurde das Eurokennzeichen bei An- oder Ummeldungen außerhalb des Zulassungsbezirkes zur Pflicht. Somit sind die klar gezeichneten Kennzeichen, die für viele ein Stück alte Bundesrepublik sind, mittlerweile stark vom Aussterben bedroht. Die jüngsten alten Kennzeichen sind bald 23 Jahre alt, die wenigsten Deutschen fahren über so einen langen Zeitraum ein und dasselbe Auto, und wenn sie es tun, haben sie ihr Auto vielfach schon längst als Oldtimer mit H-Kennzeichen zugelassen.
Wie viele DIN-Kennzeichen Abwrackprämie und Umweltzone auf dem Gewissen haben, ist unbekannt. Die letzten gesiegelten Exemplare in freier Wildbahn werden von den Mitgliedern der DIN-Kennzeichen-Gruppe erbarmungslos gejagt und mit der Handykamera erlegt. Je exotischer oder älter das Auto, um so besser. Kurze Kennzeichenkombinationen, sowie Engschrift, längst aufgehobene Zulassungsbezirke oder Sonderformate für US-Fabrikate sorgen ebenfalls für digitale Glücksmomente. Manche beDINte Autos sind sogar alte Bekannte, die immer mal wieder abgelichtet und hochgeladen werden.
Kollektive Nervenzusammenbrüche hagelt es, wenn ein Auto plötzlich mit H-Kennzeichen statt wie bisher mit DIN-Kennzeichen im Verkehr auftaucht, selbst wenn die fiskalischen Beweggründe des Besitzers eines 500er Mercedes eigentlich klar sein sollten. Auch, wenn ein Kennzeichen in erster Linie ein in Aluminium geprägter Verwaltungsakt ist, ein altes Fahrzeug mit DIN-Kennzeichen hat einen ganz anderen Auftritt, während das Eurokennzeichen an einer Chromstoßstange wie ein QR-Code in einem Autoprospekt aus den Siebzigern wirkt.
Doch die Zukunft lässt ein bisschen hoffen: Neunziger-Jahre-Autos, die nun ins H-Kennzeichen-Alter kommen, erfüllen meistens schon die Euro-2-Norm und kosten somit weniger Jahressteuer als das Oldtimerkennzeichen mit seinen 191,73 Euro. Mal sehen, wann das allerletzte DIN-Kennzeichen Deutschlands entsiegelt und seine letzte Ruhestätte an einer Garagenwand finden wird. Im Gegensatz zu den Besatzungskennzeichen 1958 haben DIN-Kennzeichen immerhin kein Ablaufdatum.