Horex Regina, die Königin der Herzen
- 22. Januar 2020
- Annette Johann
Königin der Herzen
Als im Januar 1950 im oberhessischen Bad Homburg die Produktion der Horex Regina anlief, konnte niemand ahnen, dass sie zur meistverkauften 350er in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg avancieren würde. Was machte sie zur Ausnahme-Erscheinung, zur Königin der Herzen über mehrere Generationen?
Heute hat sie zweifellos ihren Thron im Olymp der Motorradgeschichte besteigen. Eine ganze Nachkriegsgeneration war auf ihren Schwingsätteln zur Arbeit geschaukelt und noch heute schwärmen die alten Windgesichter von dem legendären Einzylinder namens Horex Regina. Blitzender Chrom, viel Aluminium, untadelige Qualität und Eleganz bildeten die Basis für ihren guten Ruf.
Nimbus Regina
Was ist dran am Nimbus dieser Maschine? Auf jeden Fall ihr Aussehen: Der aufrecht stehende Einzylinder mit dem Stoßstangenhüllrohr macht ein wenig effektheischend auf Königswelle und thront wie der Inbegriff eines klassischen Motorradmotors unter dem ebenso typischen, tropfenförmigen, verchromten Tank. Dazu geschwungene Schutzbleche und große Vollnabenbremsen in den Speichenrädern: Genau so stellt sich jedes Kind ein Oldtimer-Motorrad vor. Hinzu kommt ihr Sound, dieser unvergleichlich satte, bassige Einzylinder-Schlag.
Ein Image, das auch Jahrzehnte später noch wirkt, als Comic-Zeichner Rötger "Brösel" Feldmann seinen Anti-Helden Werner Ende der Achtziger auf eine Regina setzt: im Red-Porsche-Killer allerdings gleich mit vier Regina-Eintöpfen in Reihenschaltung.
Die Entstehung
Doch um den Hype wirklich zu verstehen, muss man über 70 Jahre zurück in die Nachkriegsjahre blicken. Als Deutschland in Trümmern liegt und kaum jemand an schwere Motorräder denkt. Als der Aufbau von Industrie und Verkehr wichtiger ist, Familienzusammenführungen und irgendwie den Alltag zu bewältigen. Das vom Krieg unbeschädigte Horex-Werk nahe Frankfurt am Main lebt zunächst von Ersatzteilen für die Eisenbahn, und Chefkonstrukteur Herrmann Reeb entwickelt Einbau- und Industriemotoren. Da muss es wie eine Verheißung auf eine bessere Zukunft wirken, als die Firma 1948 als erstes deutsches Motorradwerk die Genehmigung für ein hubraumstarkes Motorrad erhält. Mit einer kaum veränderten Neuauflage der Vorkriegskonstruktion SB 350 startet Firmenchef Fritz Kleemann durch. Bis März 1950 entstehen über 2300 Exemplare, aber eigentlich ist klar, dass es der in die Jahre gekommenen Konstruktion vor allem am Fahrwerk fehlt: Trapezgabel und starres Rahmenheck sind nicht mehr zeitgemäß. Also denkt Reeb völlig neu, lässt auch die schnöde Namensbezeichnung hinter sich: die Neue heißt nun Regina, die Königin.
Das Fahrwerk
Pläne für eine Geradwegfederung hat Reeb bereits 1938 gemacht, allerdings damals aus Kostengründen verworfen. Jetzt kommt sie zum Einsatz: Die Führungselemente bestehen aus Aluminium und gleiten ohne Bronzebuchsen direkt auf den Führungsrohren. Auch Tauchrohre und Gabelbrücken bestehen – völlig neu - aus dem Leichtmetall. Im Rüstungsbau war während des Zweiten Weltkriegs die Kompetenz erworben worden, Schmiedealuminium auch für tragende Teile einsetzen zu können. Was nicht nur leicht und gleichzeitig hochfest ist, sondern hochglanzpoliert an der Regina mit Tank und Felgen um die Wette strahlt und einen Hauch von Luxus und Solidität verströmt. Die hochmoderne hydraulische Druck- und Zugstufendämpfung der Vorderradführung funktionierte perfekt.
Der Motor
Im Gegensatz zum Fahrwerk konnte der damals bereits sehr fortschrittliche Langhuber der SB 35 fast unverändert in die Regina übernommen werden. Er war 1938 als Gemeinschaftsarbeit von Herrmann Reeb und Victoria-Chefkonstrukteur Richard Küchen entstanden und vor allem als Einbaumotor für die Victoria KR 35 gedacht. Die beiden schufen einen Blockmotor mit integriertem, rechts geschaltetem Viergang-Getriebe, glattflächigem Gehäuse und gekapseltem Zylinderkopf. Für den aus dem Vorgängermodell S 35 übernommenen Ventiltrieb war Reeb verantwortlich. Eine kettengetriebene Nockenwelle betätigt über zwei lange, gekapselte Stoßstangen und Kipphebel die beiden im Kopf hängenden Ventile. Leistung: 18 PS bei 5000 Umdrehungen.
Modelle und Varianten
Bald kommen weitere Varianten hinzu: eine 250er, vorerst nur für die Schweiz und Österreich, eine Regina Sport mit 20 PS und zum Abschluss ab 1953 eine Regina 400 mit gründlich überarbeitetem Triebwerk.
Der Werdegang
Die im Januar 1950 erscheinende, 115 km/h schnelle Regina erweist sich als absoluter Verkaufsschlager, es läuft perfekt für das Bad Homburger Werk. Bereits im Mai 1951 kommt die 10.000. Regina auf die Straße, 1952 vermeldet Horex stolz, dass alle sieben Minuten eine Regina entsteht. Doch dann sind die fetten Jahre blitzschnell vorbei. Der deutsche Motorradmarkt bricht ab 1954 drastisch ein – Kleinwagen sind erschwinglich geworden, und viele Käufer froh über ein Dach über dem Kopf. Getreu dem Werbeslogan "Von Motorradfahrern für Motorradfahrer" verwirft Horex fatalerweise ein Kleinwagenprojekt und segelt stattdessen 1955 mit Regina-Nachfolger Resident voll in die Flaute. Der Anfang vom Ende: Fünf Jahre später übernimmt Daimler-Benz das Bad Homburger Werk.
nach einem Text von Peter Mergelkuhl
Wer jetzt Lust bekommen, sich selbst auf eine Horex Regina zu schwingen oder gar schon länger mit einem Kauf liebäugelt, der findet in unserer ausführlichen Kaufberatung in OLDTIMER MARKT 11/2011 praktische Tipps für die Anschaffung der Königin.