Red Bull Formula Nürburgring

Himmel und Hölle

Wir erinnern uns alle an den Prototyp des Schumi-Fans, wie er in den Neunzigern das Motodrom zu Hockenheim bevölkerte: mit Druckluftfanfare, Kippe im Mundwinkel und einer lauwarmen Dose Bitburger in der Hand. Wer lange kein Motorsport-Event mehr besucht hatte, rieb sich deshalb die Augen, sobald er in das Paddock der Red Bull Formula Nürburgring geschlurft war: Bei der Vollgas-Sause, die am zweiten September-Wochenende im Rahmen der Langstreckenmeisterschaft am Nürburgring stattfand, bestand die Hälfte der Zuschauer aus weiblichen Teens und Twens, Drive to Survive und Instagram sei Dank.

Sebastian Vettel an Red Bull Formula Nürburgring Vollgas fürs Klima: Der viermalige Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel war der Star der Veranstaltung. Sein RB7 fuhr mit Biosprit und E-Fuel

Als schließlich der Formel-1-Ruheständler und Bienenschützer Sebastian Vettel aus seinem Weltmeisterauto von 2011 stieg, war das Geschrei so groß, als hätten gerade Taylor Swift und Beyoncé zusammen die Bühne betreten. Was das Line-up anging, ließ sich der österreichische Brausehersteller wahrlich nicht lumpen: Fünf Top-Fahrer sollten in Formel-1-Autos aus vier Jahrzehnten über die Nordschleife fahren: Mathias Lauda (Ferrari 312 B3), Gerhard Berger (Ferrari 412 T2), Ralf Schumacher (Williams-BMW FW25), David Coulthard (Red Bull RB8) und Sebastian Vettel (Red Bull RB7), wobei Schumachers Auto letztlich zu tief lag und deshalb nur die kleine Runde durch die Müllenbachschleife drehte, und Berger zwar auf die Reise ging, aber nicht mehr zurückkehrte – er verpasste die Zufahrt zur „Grünen Hölle“ und musste den V12 abstellen. Formationsflug der Red Bull Boliden Red-Bull-Formationsflug: Sebastian Vettel (vorn) und David Coulthard im „Caracciola-Karussell“

Wer dachte, es könnten an diesem Tag die 6:11,13 Minuten fallen, die Stefan Bellof 1983 im Porsche 956 in den Asphalt gebrannt hatte, oder gar die Fabelrunde von 5:19,55 Minuten von Timo Bernhard im Porsche 919 aus dem Jahr 2018, wurde enttäuscht: Alle Fahrer wurden vom Safety Car im Zaum gehalten, damit keiner auf dumme Gedanken kam. Vermutlich besser so, denn als die Moderatorin Veteran Coulthard fragte, ob er im Vorfeld an der Spielkonsole geübt habe, um sich die 73 Kurven der Nordschleife einzuprägen, antwortete der: „Ich hab’ sie mir vorhin auf der Karte angeschaut.“

Spätestens als Ralf Schumacher seinen V10 bis an die 19.000-Touren-Marke kreischen ließ, interessierte sich sowieso keiner mehr für Bestzeiten: Ja, so geil klang die Formel 1 vor 20 Jahren! Und wer keine Gänsehaut hatte, als Mathias Lauda in Nikis Ex-Arbeitsgerät jenen Streckenabschnitt passierte, an dem sein Vater einst verunglückte, der muss gefühlskalt sein.