Volvo 940/960

Harte Kante – Der fahrende Ziegelstein wird 30

Hochgeladenes Bild Der 900er debütierte 1990 und blieb als S90/V90 bis 1998 im Programm. Mit der Produktionseinstellung endete auch die Hecktriebler-Ära bei Volvo

Einfach nur Brick – Ziegelstein – nennen Engländer und Amerikaner liebevoll alte, kantige Volvo. Die 900er-Serie gilt dabei als letzter Vertreter der typischen Volvo-DNA.

Volvo hat es wie kaum ein anderer Hersteller jahrzehntelang geschafft, Autos zu bauen, deren Technik ebenso beständig war wie ihr Design. Allein die Produktionszeiten sind der in Blech gepresste Beweis dieses Strebens: Ur-Buckel PV444 (1948-1958), dessen Nachfolger PV544 (1958-1969), 121 Amazon (1956-1970) und 140 (1966-1974) werden nur von der legendären Baureihe 240 übertroffen, die von 1974 bis 1993 fast zwei Jahrzehnte vom Band lief. Hinzu gesellte sich ab 1982 die 700er-Baureihe, die bis 1992 gebaut und von der formal auf den ersten Blick eineiigen 900er-Linie fließend abgelöst wurde.

Hochgeladenes Bild Die Marktpreise für die Limousine liegen leicht unterhalb vergleichbarer Kombivarianten

Deren Geschichte beginnt 1982 mit der Präsentation der 700er-Serie in Gestalt der luxuriöseren Sechzylinder-Variante 760. Erst zwei Jahre später folgt der einfachere 740 mit Vierzylinder-Motoren. Doch die Kunden geben sich nicht mehr mit dem zögerlichen Design der Schweden zufrieden, ab Mitte der Achtziger bricht der Umsatz ein.
Das in Entwicklung befindliche Projekt Galaxy, aus dem 1991 die 800er-Reihe mit Vorderradantrieb hervorgehen sollte, ist noch Zukunftsmusik und nicht geeignet, die abspringenden Kunden zu halten. Eine Lösung muss her, und das in einer für die Schweden eher ungewohnten Art: nämlich kurzfristig.

An sich ist die 900er-Reihe ein grundsolides Auto. Ihr Zustand ist vor allem von der Pflege-Mentalität der Vorbesitzer abhängig.

Volvo-Experte Daniel Schoon in OLDTIMER PRAXIS 12/2017

Denn bereits seit 1978 arbeiten sie am besagten neuen Modell für die neunziger Jahre. Weil sich besonders in der 700er-Limousine die Design-Defizite zeigen, konzentrieren sich die Gestalter vor allem auf das Stufenheck. Am 5. April 1988 startet die Entwicklung des "neuen" 700, der 1990 in Gestalt der 900er-Serie vorgestellt wird und reichlich Design-Anleihen des ebenfalls fast fertigen Frontantrieb-850ers zeigt. Um die Verwirrung komplett zu machen, erhält auch die parallel weitergebaute 700er-Reihe die neue Schnauze...

Hochgeladenes Bild Das Interieur ist vielleicht keine Augenweide, aber hart im Nehmen: Das Fahrzeug im Bild hat längst über 300.000 Kilometer auf dem Tacho

Leidenschaft für alte Schweden

Diesen kantigsten aller Volvo haben sich Heiko Brenke und Tobias Cizmar aus Wulsbüttel bei Bremen verschrieben. Die Liebe zu den alten Schweden führte die beiden zusammen, Gipfel der Leidenschaft war die Gründung der Volvo Schmiede. Auf ihrem Gelände stehen diverse 700er und 900er aller Zustände, die potenzielle Schwachstellen gnadenlos preisgeben. Heiko Benke bestätig, was selbst Nicht-Kenner wissen: "Eigentlich sind sie erst jenseits der 250.000 Kilometer eingefahren." Beim 940er kommen bewährte Reihenvierzylinder zum Einsatz, diee sich ihren Ruf schon in den Vorgängern 740 und 240 erarbeitet haben. Kollege Czimar fügt hinzu: "Wenn er gut gewartet ist, würde ich mir auch einen 940er jenseits der 600.000 Kilometer bedenkenlos kaufen."

Eine Klasse für sich

Der Volvo 960 sieht zwar auf den ersten Blick fast genauso aus wie der 940 mit Reihenvierzylinder, unterscheidet sich jedoch erheblich – angefangen bei den namensgebenden Reihensechszylindern (bis 1994 gab es auch einen 2.0 und 2.3 Liter Turbo im 960). Diese wurden in Schweden entwickelt und bekamen im Anschluss bei Porsche ihren Feinschliff. Entsprechend anspruchsvoller ist ihre Wartung – was den 960 in der Beliebtheit bei Fans gegenüber dem 940er etwas abfallen lässt.

Schlussstein einer Ära

Ab 1996 hieß die Reihe gemäß der neuen Modellnamenskonvention bei den Schweden S90 (Limousine) bzw. V90 (Kombi). Zwei Jahre später war Schluss mit der Hecktriebler-Ära, aber auch mit dem fahrenden Ziegelstein. Nicht die Modellreihe selbst wurde abgelöst, auch die Formensprache veränderte sich. Mit dem Nachfolger S80, den es nur als Limousine gab, hielt eine neue Designsprache bei Volvo Einzug – im Vergleich zu vorher geradezu verspielt, ohne Zweifel aber etwas "weicher".

Hochgeladenes Bild Wer die Rücksitzbank zu einer ebenen Fläche umklappt, erhält mehr als 2000 Liter Ladevolumen

Mit der 900er-Baureihe hat sich Volvo ein Denkmal für die Ewigkeit gesetzt. Sie transportiert traditionelle Tugenden wie Sicherheit und Unzerstörbarkeit in die Moderne und wirkt selbst 30 Jahre nach ihrer Präsentation noch zeitgemäß. Das ideale Modell der Experten: ein später 940/945 Classic mit 2,3-Liter-Motor. Bei guter Pflege ist das ein bombensicherer Kauf. Tobias Cizmar bringt es abschließend perfekt auf den Punkt: "Der 900er hätte Volvo eigentlich ruinieren müssen: Er steht kaum in der Werkstatt, und wer einen hat, muss sich jahrzehntelang keine Gedanken um ein neues Auto machen." Und heute sind sie gar nicht mal so teuer – gut erhaltene Exemplare mit Zustandsnote 2 verortet Classic Data bei gut 7000 Euro, die weniger gefragte Limousine liegt preislich sogar noch darunter. Wer bei diesem Kurs ebenfalls eine Leidenschaft für alte Schweden entwickelt, dem sei unsere Kaufberatung aus OLDTIMER MARKT 3/2020 empfohlen. Die beiden Experten Czimar und Benke von der Volvo Schmiede blicken der "letzten harten Kante" unters Blech und erklären, woran man ein langlebiges Exemplar erkennt.

Hochgeladenes Bild Zwar gab es bei Volvo auch später noch steile Kombihecks, dennoch gilt die 900er-Baureihe als letzter echter "Brick", zu Deutsch Ziegelstein