Blick zurück nach vorn
- 01. März 2019
- Red. OLDTIMER MARKT
Auf dem Genfer Automobil Salon (7. bis 17. März) präsentiert Honda in diesem Jahr die serienreife Version seines neuesten Kleinwagens. Der Honda, der schlicht „e“ heißt, greift dabei trotz modernem Elekroantrieb auf Gestaltungsanleihen aus der eigenen Vergangenheit zurück und zitiert ganz unverhohlen die erste Generation des Honda Civic. Der Applaus ist groß und als Erkentnis steht: Retro-Styling funktioniert also noch immer.
Erstes Retro-Design? Mitnichten! Volkswagen Concept 1
Doch wer hat es denn nun erfunden, das Retro-Design? Die Antwort liegt nah – scheinbar, zumindest. Gefühlt muss es in den Neunzigern gewesen sein. 1994 stellt VW auf der Detroit Motor Show das Concept 1 vor. Jenes Auto, das Ende 1997 als New Beetle in Serie geht. Die Designer waren Freeman Thomas und J. Mays. Der New Beetle gehört also definitiv zu den frühen Vertretern der jüngeren Retro-Welle, denn die Entwicklung des Mini als modernem Hatchback beginnt erst 1995, die Serienfertigung sogar erst 2001.
Vorbild Gutbrod Superior: Nissan Figaro von 1991
Retro-Design, eine japanische Erfindung?
„Halt!“ werden nun einige rufen – und zwar zu Recht. War da nicht was, hatten die Japaner nicht schon deutlich früher ein Faible für das Zitieren von Design und Esprit vergangener Tage? Richtig, denken wir doch nur an die schrägen Kleinwagen Be-1 und Pao von Nissan, die in den späten Achtzigern auf den Markt kamen. Und dann gibt es da ja noch den Nissan Figaro, der 1991 ganz ungeniert den Gutbrod Superior aus den fünfziger Jahren abkupfert. Letztlich ist ja auch der Mazda MX-5 nichts weiter als eine Hommage an den Lotus Elan, nur ohne die Unzulänglichkeiten, die einem britischen Roadster eben so innewohnen. Haben die Japaner also das Retro-Design erfunden? Ähm, nein...
Ein Exzentriker ebnet den Weg
Um die Antwort zu finden, wer es denn nun war, müssen wir uns noch weiter zurückbeamen, in die sechziger Jahre, nach Amerika. Im größten Konzern der Welt hat Bill Mitchell gerade das Zepter von Designzar Harley J. Earl übernommen und darf sich nun stolz GM Vice President of Design nennen. Mitchell ist nicht weniger exzentrisch als sein Vorgänger, sein Faible für leichte Mädchen und Martinis gut dokumentiert. Als erste Amtshandlung stutzt er den Straßenkreuzern des Konzerns die Heckflossen und führt den geradlinigen „Sheer Look“ ein.
Mitchell ist im Laufe seiner Karriere für das Aussehen von über 72 Millionen Autos verantwortlich. Zu seinem Vermächtnis gehören vor allem die Full-size Personal Luxury Cars Cadillac Eldorado, Buick Riviera und Oldsmobile Toronado, die sich gemeinsam die sogenannte E Platform von GM teilen. Mondän gestaltete Großcoupés, die es mit Luxusmodellen europäischer Hersteller aufnehmen sollen.
Stylistisch und technisch seiner Zeit voraus: Cord 812
Inspiration Cord 810 und 812
Einer von Mitchells Männern ist es, der 1962 als Fingerübung ein Auto zeichnet, das zunächst den lakonischen Namen „Flame Red Car“ bekommt. Der Mann heißt David North und sein Entwurf dient als Basis für das kommende Luxuscoupé von Oldsmobile. Als dieser Entwurf unter dem endgültigen Namen Toronado 1965 in die Showrooms der Händler rollt, sieht er alles andere als alt aus. Mit seinem Design preschen die Stylisten in Richtung Zukunft, anstatt verklärt in die Vergangenheit zu blicken. Doch auf den zweiten Blick erkennt der Gestaltungsprofi einige Reminiszenzen an die Grandezza der dreißiger Jahre, konkret: an die legendären Cord-Modelle 810 und 812, die wie der Oldsmobile Toronado über Vorderradantrieb und Schlafaugen verfügen.
Ein US-Coupé voller Designzitate: Oldsmobile Toronado
Zitate aus der Vergangenheit
Vor allem die Chromlamellen des Kühlergrills lehnen sich an das legendäre Vorkriegsauto an. Auch die ausgestellten Radläufe wirken wie eine Hommage an die freistehenden, geschwungenen Kotflügel des Cord und selbst die gelochten Rader zeigen Ähnlichkeiten zu denen bei der Limousine, für deren Linie einst Designgenie Gordon Buehrig verantwortlich war. Auch wenn der Oldsmobile Toronado kein fabrikneuer Oldtimer sein wollte, darf er also durchaus als eines der ersten Autos gelten, das zumindest mit Designanleihen aus vergangenen Tagen spielte.