Auf dem Highway ist die Honda los
- 10. September 2024
- Frank Schobelt
1969 hatte Honda mit dem Hochleistungs-Vierzylinder der CB 750 Four entscheidende Weichen für den Motorradboom der Siebziger gestellt. Kurz danach kam die 900er „Super Four“ von Kawasaki – und mit dieser Z1, die bei uns als „Frankensteins Tochter“ für Furore sorgte, war nichts mehr wie vorher. Doch Hamamatsu hatte noch einen weiteren Pfeil im Köcher – der im September 1974 auf der Kölner IFMA Premiere feierte.
Anders als von der Motorradwelt erwartet, fuhr Hondas neues Flaggschiff jedoch nicht in derselben sportlichen Liga voraus. Die GL 1000 schlug vielmehr ein neues Kapitel im Motorradbau auf: Denn einen so sensationellen Supertourer wie die „Gold Wing“ hatte zuvor kein anderer Hersteller im Programm!
Im Doppelschleifenrahmen schlug das fein austarierte Herz der bis dahin stärksten Honda aller Zeiten: Ein souveräner, per Zahnriemen gesteuerter Vierzylinder-Boxer mit knapp 1000 Kubik. Ölbadkupplung und Fünfganggetriebe agierten unterm Triebwerk und senkten so den Schwerpunkt. Genauso wir der 19-Liter-Tank mitten im Rahmendreieck. Neben der innovativen, geräuschdämmenden Wasserkühlung kam erstmals bei einem japanischen Motorrad auch der pflegeleichte Kardanantrieb zum Einsatz.
Ein aufgeräumter Anblick: der recht gut zugängliche Vierzylinder Boxermotor mit Zahnriemen getriebenen Nockenwellen und beatmet durch vier Gleichdruckvergaser
Vielmehr noch als die 82 PS, die bei 7500 Touren erreicht wurden, beeindruckten 80 Newtonmeter Drehmoment, die bei 6500 Umdrehungen anlagen – und das 290 Kilo schwere Big Bike schonauf dem Papier mehr zum Reisedampfer als zum Raser machten. Ein Topspeed von 200 km/h war allemal drin, und mit der kräftig zupackenden und gut zu dosierenden Dreischeiben-Bremsanlage hatte man die Honda auch jederzeit gut im Griff. Doch zum freudigen Kurvenkratzen war die Gold Wing nie gemacht, was auf europäischer Seite schnell zu Missverständnissen führte. Denn hier dominierte die Fraktion, für die Schräglagenfreiheit und Spitzentempo im Vordergrund standen, während ein Quäntchen mehr Komfort und technische Reife eher untergeordnete Rollen spielten. Allzu hart rangenommen, neigte die Honda denn auch zu eher unrühmlichen Fahrwerksunruhen. Doch damit stand sie ja längst nicht allein auf weiter Flur…
Es hat gedauert, bis die Gold Wing auch in unseren Gefilden dort angekommen war, wo sie vor allem die amerikanischen Kunden gleich sahen: Als zuverlässigen Begleiter auf endlosen Highways, mit ausreichend Leistungsreserven für alle Lebenslagen! Mit heutigen Fahrwerks-Kuren (Stichwort Präzisionslager!) lassen sich aber auch frühe Gold Wing längst in ausgereifte Tourensportler verwandeln – die flott bewegt auf keiner einheimischen Piste Probleme machen.
Fünf Baureihen der GL 1000 werden in Fachkreisen unterschieden (K0/K1/K2/K3/K4), und umtriebige Spezialisten machen heutzutage auch aus vermeintlich hoffnungslosen Exemplaren wieder echte Prachtstücke. So wie die hier gezeigte K1 im Farbton Candy Blue Green, die eine Hauptrolle in OLDTIMER PRAXIS 5/2023 spielte! Eine von mutmaßlich nur zehn produzierten Vorserien-GL (Exemplar GL-1000007) ist übrigens im Deutschen Zweirad- und NSU-Museum Neckarsulm zu bewundern.