Anfahrtipp: Stahlbeton und rostige Schweller
- 04. Mai 2023
- Norman Gocke
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Eher fährt ein Deutscher einmal in seinem Leben einen Porsche als einen Zastava. Die Stadtführung mit Yugotour beinhaltet auch ein paar Meter am Steuer eines 101B
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Angeblich sollen die Architekten der Neustandt von Le Corbusier inspiriert gewesen sein – oder von Ridley Scott
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Marija Miladinovic ist hauptberuflich Englisch- und Arabischlehrerin und führt nebenbei mit einem Zastava Touristen durch Novi-Beograd. Sie selbst ist von den Betonexzessen aus Titos Zeiten vollkommen begeistert
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Bevor der Hashtag „cozy“ erfunden war, mussten Gebäude einfach funktionieren. Lüftungsschacht und „Lichthof“ des Genex-Turms
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Mihajlo Mitrović (1922-2018) zeichnet architektonisch für den Genex-Turm verantwortlich. Im Südturm befinden sich Büros, im Nordturm Wohnungen. Das Drehrestaurant ist leider seit 2013 geschlossen. Bleibt zu hoffen, dass die markante Raumstation in Bälde restauriert wird
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6. Mit einer Grundfläche von 5500 Quadratmetern ist der Palata Srbije das flächendeckendste Gebäude Belgrads. Bis 2003 war der 1962 vollendete Palast der serbische Regierungssitz
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Man muss schon sehr gut drauf sein, um hier als Mieter nicht die Laune zu verlieren. Viele Wohnsilos bröckeln dahin, dass sie in Blöcke namentlich unterteilt sind, verstärkt die Gefängnisatmosphäre nur mehr
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Nur für Ortskundige: Die Hochhäuser sind mit zahllosen Fußgängerbrücken und über Passagen miteinander verbunden
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Rundlich geschwungene Formbetonteile lockern die Atmosphäre auf
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Beton, vergänglich wie Yugo-Schweller. Selbst Gebäude der alten Römer sind heute noch besser beieinander
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Bewohnte Stalagmiten: An der Jurija Gagarina stehen die Hochhäuser auf 2,3 Kilometern Spalier
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Fans von Blade Runner oder Die Klapperschlange kommen in Novi-Beograd voll auf ihre morbiden Kosten
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Durch simple Eingriffe und Vorsprünge wirken die Fassaden abwechslungsreich und natürlich zerklüftet. Es könnte sich aber auch um gigantische Nester außerirdischer Insekten handeln
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Brutalismus-Freunde bekommen in Novi-Beograd den Mund nicht mehr zu. Eine Anfahrt mit Oldtimer lohnt sich und macht mehr Spaß. Außerdem ist Serbien näher und sicherer als man meint
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Stadtrundfahrt zum Selberschieben. Unser Reisegefährt, ein Yugo GV von 1990, schlug sich besser. Und das bei insgesamt 3600 Kilometern
Wer sich Autos vorwiegend übers Design nähert, der interessiert sich meist auch für Architektur. Wer sich cineastisch in erster Linie bei Blade Runner, Dark City und High-Rise gut unterhalten fühlt, der gehört nach Novi-Beograd. Die brutalistische Neustadt Belgrads liegt am nord-östlichen Ufer der Save, die die sozialistischen Betonexzesse von der historischen Altstadt abgrenzt, ehe sie in die Donau mündet.
Zentralheizung, in jedem Block eine Schule und ein Kindergarten, in jeder Wohnung ein eigenes Badezimmer. Technologisch war Novi-Beograd in den Siebzigern für die Bewohner ein gewaltiger Schritt nach vorn, nur leider vergaßen die sozialistischen Stadtplaner, dass menschliches Wohlbefinden nicht nur von Sanitärinstallationen abhängig ist. Marija Miladinovic von Yugotours führt uns mit einem Zastava 101B durch das erdrückende Wohngebirge. Und genau wie die selbsttragenden Karosserien der Nachkriegszeit ist auch der Stahlbeton jener Ära wenig dauerhaft.
Von den Wohntürmen Rudo 1, 2 und 3, die das sogenannte Osttor von Novi-Beograd bilden, sind in der Vergangenheit bis zu 60 Kilo schwere Betonbrocken abgebröckelt und in die Tiefe gestürzt. Auch der Genex-Turm, das markanteste Gebäude der Belgrader Skyline, ist in einem jämmerlichen Zustand, genau wie der Vorplatz des 115 Meter hohen Ufos. Immerhin ist der Palata Srbije von 1962 weiterhin von guter Konsistenz, da er heute das Ministerium für Jugend und Sport beherbergt.
Marija wollte uns eigentlich noch das Savar Centar zeigen, ein Kongresszentrum, das vollkommen unsaniert und modernisiert im Sozialismus-Futurismus der siebziger Jahre überlebt hat, aber auf der Milentija Popovića gibt der Zastava wegen Überhitzung vorzeitig den Löffel ab. Malerische Altstädte gibt es in Europa an jeder Ecke, eine betongewordene Dystopie wie Novi-Beograd nicht. Sicher gibt es zu viele Plattenbaughettos, aber kaum eins hatte damals, in den Siebzigern, mit vorspringenden Erkern, Asymmetrien oder Terrassierungen auch optisch derart krampfhaft versucht, seiner Zeit voraus zu sein.
Fahren Sie ruhig mal hin. Und wenn es nicht mit dem eigenen Oldtimer sein soll: Im Umfang der gebuchten Stadtrundfahrten mit Yugotours ist auch eine Selbsterfahrung hinterm Zastava-Lenkrad inkludiert. Sofern nicht wieder der Sprit kocht. Mehr Informationen