Geschwindigkeit, Freiheit für die Seele
- 01. Februar 2023
- Norman Gocke
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Drogenkonsum, allgemeine Gesetzlosigkeit und Nacktheit sowie wilde Raserei waren zu viel für den Chrysler-Konzern. Er ließ sich 1970 aus den Credits als Sponsor von Vanishing Point streichen.
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2. Den Challenger gab es 1970 in den wildesten Farbkombinationen, aber in weiß wurde er zur Legende
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Fünf alpinweiße Dodge Challenger R/T stellte Chrysler für den Film 1970 zur Verfügung. Ein Automatikfahrzeug mit 6,3 Liter Hubraum sowie vier Exemplare mit 7,2 Liter und Handschaltgetriebe.
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Als Hommage an Fluchtpunkt San Francisco spielte 2007 in Quentin Tarantinos Death Proof ein alpinweißer Dodge Challenger die anspruchsvollste Hauptrolle.
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Stephens Performance in Anderson/Alabama ist der größte Schrottplatz für klassische Mopar. Das Foto zeigt die E-Body-Wiese, auf der nur Dodge Challenger und Plymouth Barracuda beziehungsweise ’Cuda stehen.
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Ted Stephens gründete den Mopar-Schrottplatz 1976, nachdem er höchstselbst eine 1968er Dodge Super Bee gegen einen Telefonmast gelenkt hatte und diese im Anschluss ausschlachtete.
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Tausende Chrysler, Plymouth, Dodge und DeSoto in allen Verfallszuständen warten auf mehreren Feldern darauf, Teile zu spenden, restauriert zu werden oder endgültig zu Kompost zu zerfallen.
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Auf der B-Body-wiese korrodieren Legenden wie Dodge Charger oder Plymouth Road Runner vor sich hin.
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Ein Vanishing-Point-Challenger aus dem halbgaren Remake von 1997 steht im Wellborn Muscle Car Museum in Alexander City/Alabama.
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Gleich zwei Film-Challenger aus dem 1997er-Aufguss mit Viggo Mortensen standen bis zum Tod des Betreibers im Smoky Mountain Car Museum in Pigeon Forge/Tennessee…
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…beide gehören weiterhin Ted Stephens, dem Schrottplatzbetreiber. Stephens war bereits 1997 für die Filmautos verantwortlich gewesen.
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Der Filmdreck wurde mit einer Mischung aus Wüstensand und Kaffee erzeugt – hält bis heute.
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Unfassbar, welche Asphalt-Legenden sich auf Teds Wiese allmählich auflösen, so wie dieser 1971er Dodge Challenger R/T.
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Ja, ein echter Vanishing-Point-Challenger, der skelettiert in einem Übersee-Container vor sich hindümpelt. Leider aber auch nur aus dem Remake von 1997.
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Farbcode FM3, im Prospekt Panther Pink genannt. Die heftigste Autofarbe ab Werk.
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Kam zu keiner Zeit ans kompromisslose Original heran: Die politisch korrekte Neuverfilmung des rohen Originals.
Ein Ex-Rennfahrer, Vietnam-Veteran und aus dem Dienst ausgeschiedener Polizeibeamter, dessen Freundin ferner bei einem Surfunfall starb, verdingt sich als Autoüberführer und wettet mit seinem Amphetamin-Dealer, dass er die 2000 Kilometer nach San Francisco in unter 15 Stunden schafft. Klingt ein bisschen wie das Drehbuch eines Burt-Reynolds-Streifens, aber Fluchtpunkt San Francisco war bei seiner Kinopremiere im März 1971 eine Abrechnung mit dem amerikanischen Traum, eine bedingungslose Ode an die persönliche Freiheit und nebenbei der beste je gedrehte Werbespot für den 1970er Dodge Challenger R/T, wenngleich zur Premiere bereits das 1971er Modell bei den Händlern stand.
Mit dem handgeschalteten 7,2-Liter-Magnum-Big-Block stets im Begrenzer fährt Kowalski vollgepumpt mit Amphetaminen allen bürgerlichen Illusionen davon, während die ihn wegen exzessiver Geschwindigkeitsverstöße jagende Polizei zum Staatsfeind Nummer eins hochstilisiert. Radiomoderator Super Soul hingegen macht aus Kowalski die letzte freie Seele auf diesem Planeten, sodass immer mehr Menschen am Straßenrand einem Autoüberführer zujubeln und in ihm die letzte Hoffnung der USA sehen. Doch es gibt kein Entkommen vor den Zwängen einer vermeintlich freien Gesellschaft und letztlich rast Kowalski lächelnd unter Volllast mit seinem Muscle Car in eine aus Planierraupen errichtete Straßensperre und verglüht in einem Feuerball. 1971 lag die große Hoffnung der Hippie-Bewegung von Love and Peace angesichts der Präsidentschaft des Republikaners Richard Nixon und des nicht mehr zu rechtfertigenden Vietnamkriegs genauso im Sterben wie das hochverdichtete Muscle Car. Fluchtpunkt San Francisco traf deshalb genau so den Nerv der desillusionierten, wütenden Protestjugend wie den der Benzinfreaks, denen Umweltschutzbehörde und Versicherungswirtschaft ihre übermotorisierten Spielzeuge aus dem Handel nehmen wollten.
Auch wenn die vierrädrige Variante von Easy Rider eher eine limitierte Zahl an ausführlichen Dialogen beinhaltete, war die Amerika-Kritik derart eindeutig, dass sogar die DDR-Führung den Film zuließ, wenngleich neu synchronisiert. Weniger begeistert von Nacktheit, Drogenkonsum am Steuer und der Beerdigung des amerikanischen Traums in einem Feuerball als Honecker und Konsorten, war der Vorstand von Chrysler. Hatten die Chrysler-Werke in alter Tradition auch diesmal 20th Century Fox wieder die Filmfahrzeuge zu einem Mietpreis von einem Dollar pro Tag gestellt, so waren die Verantwortlichen nach der Premiere geschockt. Zwar war Dodge-Werbung während der Muscle-Car-Ära gerne doppeldeutig und provokant, aber Kowalskis Vollgas-Trip durch die Mojave-Wüste ging zu weit und Chrysler bestand darauf, aus den Abspann-Credits gestrichen zu werden. Dank der fünf seitens des Werkes zur Verfügung gestellten Dodge Challenger in Alpinweiß wurde der Wagen dennoch zur Legende. Und das trotz der aufpreisbefreiten Basislackierung. Der 1970er Challenger war ebenfalls in Wahnsinnsfarben wie Panther Pink, Plum Crazy, Go Mango oder Sublime Green erhältlich gewesen, doch in weiß wurde er dank Kowalski zur Legende, zum Heiligenbild der automobilen Rebellion.
Alle fünf Kowalski-Challenger sollen 1971 als Schrott zur Abwrackung in Los Angeles versteigert worden sein. Dementsprechend nervös beziehungsweise irritiert sind wir, als wir während eines Besuchs des Mopar-Muscle-Car-Schrottplatzes von Stephens Performance in Alabama auf einen Überseecontainer hingewiesen werden, in dem sich ein originaler Film-Challenger aus Fluchtpunkt San Francisco befinden soll. Wir nerven solange, bis unser Junk-Guide endlich die Schlüssel aus dem Büro holt und wir kurz darauf vor einem Challenger-Gerippe mit den typischen Bohrungen für Kameraaufnahmen stehen. Amerika, das Land der Superlative und Sensationen. Man weiß nie, was sich im nächsten ISO-Container an einer Landstraße in den Südstaaten befindet! Doch wie fast immer, ist das meiste Fassade, so wie in den Universal-Studios oder in “Luxussuiten” in Las Vegas. Auf unser Bombardement von Nachfragen räumt unser Fremdenführer nuschelnd in einem Nebensatz ein, dass es sich um einen Film-Challenger aus dem Remake Vanishing Point II von 1997 handelt. Weil das 1970 abgedrehte Original vielen konservativen Zuschauern zu radikal und für sie nicht nachvollziehbar begründet war, wurde das angepasstere Remake für den TV-Sender Fox produziert. Statt Barry Newman saß nun Viggo Mortensen hinterm Challenger-Lenkrad und endlich hatte der Protagonist einen weniger spirituellen Grund, derart (mit den Hinterrädern) durchzudrehen. Mortensen ist ebenfalls mit der Überführung des weißen Dodge beschäftigt, jedoch nüchtern. Doch seine schwangere Frau wird plötzlich und unerwartet ins Krankenhaus eingeliefert und droht, während einer Frühgeburt zu sterben. Danach stellt Mortensen die Drosselklappen genauso steil, wie Kowalski, aber mit einem, für den durchschnittlichen, hart arbeitenden Amerikaner weitaus besser verständlichen Grund, ohne diesen Freiheitsüberbau. Im 1997er Aufguss entscheidet sich der entschlossenste Cop von allen, den Challenger am besten mit seinem privaten 1968er Dodge Charger R/T zu verfolgen, weil “es ein Mopar braucht, um ein Mopar zu schnappen”. Vielleicht waren die Polizeiautos der Neunziger auch einfach zu langsam für die Urgewalt aus den frühen Siebzigern. Ferner ist Radio DJ Super Soul kein aufgekratzter, systemkritischer Schwarzer mehr, dafür sitzt 1997 der aus Beverly Hills, 90210 bekannte Jason Priestley im Flanellhemd hinterm Mikrofon und Mortensen stirbt am Ende natürlich nicht, sondern zieht seine Tochter alleine groß. Alles also besser verdaulich für den Fox-Konsumenten.
Doch ist es eigentlich so wichtig, ob es sich um ein originales Filmfahrzeug handelt? Das Autogramm eines Weltstars macht einen ja auch nicht zu seinem Freund. Fakt ist, dass mit jedem alpinweißen Dodge Challenger R/T Freiheit, Flucht, Geschwindigkeit und durchdrehende Reifen assoziiert werden. Ferner steht die schlichte Farbe dem Coupé hervorragend. Von derart perfekten Proportionen muss eigentlich nicht mit Panther Pink oder Plum Crazy abgelenkt werden. Das sah auch Quentin Tarantino so und gab 2007 in Death Proof zum dritten Mal einem weißen Dodge Challenger die eigentliche Hauptrolle in einem Spielfilm, als Reminiszenz an Fluchtpunkt San Francisco.
Immerhin sind die Death-Proof-Challenger nicht nach Drehende verschwunden und verschrottet worden. 2016 wurde ein fahrbereites Exemplar mit Streifschaden für gerade einmal 32.500 Dollar versteigert. Und die Tatsache, dass neben dem Gerippe noch drei weitere, sehr gut erhaltene beziehungsweise restaurierte Challenger aus dem lauwarmen Aufguss mit Viggo Mortensen existieren, macht den ausgeschlachteten Containerfund in Alabama noch etwas unspektakulärer. Zudem Ted Stephens, dem Schrottplatzbesitzer, alle Drei gehören. Er versorgte die Filmproduktion 1996 nämlich mit den Fahrzeugen. Dieses ausgekochte Schlitzohr.