Freifahrtschein?
- 18. Juli 2019
- Red. OLDTIMER MARKT
„Entsetzt“ (Spiegel Online) reagierten die Experten des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) und der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), als Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) Ende Juni ankündigte, Autofahrern den Zugang zu Leichtkrafträdern zu erleichtern, und auch manch besorgter Bürger sah unsichere Zeiten heraufdämmern. Man sehe „keine hinreichenden Gründe, den Zugang zur zweitgefährlichsten Fahrzeugklasse zu lockern“, pampte der DVR in einer Stellungnahme. Auch der Dachverband VdTÜV erteilte den Plänen eine kategorische Absage – natürlich rein aus heeren Sicherheitsbedenken und keinesfalls aus Angst vor Umsatzeinbußen bei dem lukrativen Geschäft mit Führerscheinprüflingen. Und die staatlichen Fachleute der BASt verwiesen sogleich auf die „erkennbare Verschlechterung der Verkehrssicherheit“ in Österreich, das den Zugang zu 125ern bereits 1997 liberalisiert hatte.
Statistiken und ihre Fallstricke
Was freilich nicht mal der halben Wahrheit entspricht, wie das RWI – Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung in seiner Reihe „Unstatistik“ genüsslich ausführt: Tatsächlich waren die Unfallzahlen 1997 sprunghaft um ein knappes Drittel angestiegen, während der Motorrad-Bestand nicht ganz so abrupt um über 25 Prozent zugenommen hatte. Allerdings fielen die Zahlen im Folgejahr bereits wieder auf ein Niveau, das sogar unter jenem der Zeit vor der Liberalisierung lag. Anzunehmen, dass ähnliche Erfahrungen gemacht wurden in Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Luxemburg, Polen, Portugal, der Slowakei, Spanien und Tschechien, wo es vergleichbare Regelungen gibt. Das von den Statistik-BASt-lern befürchtete Massensterben scheint also ein rein deutsches Phänomen zu sein. Wie auch die mediale Resonanz auf die Pläne. Die Schlüsselreizwörter „ohne Prüfung“ verleiteten zahlreiche Schreiber zu Alarmismus und beschworen bei Querlesern Bilder überforderter Autolenker auf 100-PS-Boliden herauf. Dabei plant Scheuer alles andere als einen Freifahrtschein:
- Autofahrer müssen mindestens 25 Jahre alt sein und den Pkw-Führerschein (früher Klasse 3, heute B) mindestens fünf Jahre ununterbrochen besitzen.
- Wer dann sechs praktische Fahrstunden (auch auf einem Verkehrsübungsplatz) und eine 90-minütige Theorieeinheit absolviert, kann seinen B-Schein um die Schlüsselzahl 195 erweitern.
- Dies berechtigt ihn zum Fahren von Leichtkrafträdern mit maximal 125 ccm, 15 PS und einem Leistungsgewicht von höchstens 0,1 kW pro Kilogramm.
Die schnellsten Vertreter dieser Gattung laufen gerade mal 110 km/h. Für einen Geschwindigkeitsrausch reicht das wohl kaum, dafür aber zum souveränen Mitschwimmen im Stadt- und Landstraßenverkehr. Was man von den Mopeds und Mokicks nicht behaupten kann, auf die Autofahrer bislang zurückgreifen mussten, wenn sie einspurig fahren wollten. Wer jemals mit so einem maximal 45 km/h lahmen Teil am Rand einer viel befahrenen Straße im Zentimeterabstand von Lkw überholt wurde, hat seine Nahtoderfahrung gemacht. Wenn nur einige dieser Mopedfahrer auf 125er umsteigen, ist der Verkehrssicherheit schon gedient.
Umsteigen heißt das Motto
Leute zum Umsteigen zu bewegen – darum geht es dem Verkehrsminister. Und zwar vom Auto auf ein adäquat motorisiertes Zweirad, mit dem sich die statistische deutsche Pendlerdistanz von zweimal 17 Kilometern pro Arbeitstag flott und entspannt bewältigen lässt, und das bei halbiertem Platz- und Spritbedarf. Wenn dieses Angebot dereinst nur zehn Prozent der Berufspendler annehmen, sind Umwelt und Klima mehr gedient als mit einer Million Elektroautos.
Entdeckung der Zweirad-Oldies?
Was das mit Oldtimern zu tun hat? Wer insgeheim immer schon mit einem Motorrad geliebäugelt, aber stets die inzwischen absurden Führerscheinkosten von fast 2000 Euro gescheut hat, darf nun hoffen (und diese Hoffnung auch gern seinem Wahlkreis-Abgeordneten kundtun). Wird Scheuers Entwurf Gesetz, wartet eine Wunderwelt klassischer 125er auf ihn, von Opas betulicher MZ oder DKW RT über filigrane Ital-Renndiven und lässige Roller bis hin zu federleichten Geländehüpfern aus dem Land der aufgehenden Sonne…
Dirk Ramackers