Der 100-Km/h-Mann
- 13. November 2018
- Red. OLDTIMER MARKT
150 Jahre alt wäre Camille Jenatzy diesen Herbst geworden. Der Name des Motorsportpioniers ist heute nur mehr Experten geläufig – zu seiner Zeit hat er aber einen Ruf wie Donnerhall: Geboren wird er als Sohn einer ungarisch-stämmigen Familie am 4. November 1868 in Brüssel. Während seines Ingenieursstudiums frönt Jenatzy dem neuen Fahrradsport und beginnt Ende der 1890er Jahre mit dem Bau von Elektrofahrzeugen. Mit einem solcherart betriebenen, torpedoförmigen Fahrzeug – der berühmten La Jamais Contente (die nie Zufriedene) – begibt sich der junge Heißsporn 1899 auf Rekordjagd und ist nicht eher zufrieden, bis er als erster Mensch mit einem Automobil die 100-km/h-Marke knackt (Foto oben). Die einzigen Fahrzeuge, die damals noch höhere Geschwindigkeiten erreichen können, sind Dampfloks.
Jentazys nächster großer Erfolg ist der Sieg beim Gordon-Bennett-Rennen 1903 in einem 60-PS-Mercedes, der zum Ruhm der Stuttgarter Marke beiträgt. Sein Fahrstil sei „gekennzeichnet von dämonischer Raserei und völliger Entschlossenheit“, wie die New York Times damals schreibt. Die verwegene Fahrweise des Belgiers bringt ihm im Zusammenspiel mit seiner Haar- und Bartfarbe den Beinamen Roter Teufel ein, die Firma Bosch nutzt seine Popularität als Werbemotiv bis zum Ersten Weltkrieg. Jenatzy selbst widmet sich bald der elterlichen Reifenfabrik, aber noch 1908 – sein Stern ist da bereits gesunken – nimmt er am französischen Grand Prix teil.
Jenatzy hat sich bereits seit drei Jahren vom Rennsport zurückgezogen, als er Anfang Dezember 1913 auf tragische Weise stirbt: In seiner Jagdhütte in den Ardennen wettet er eines Abends weinselig mit der versammelten Jagdgesellschaft nach zahlreichen vergeblichen Versuchen, dass es ihnen in jener Nacht gelingen würde, einen kapitalen Keiler zu erlegen. Gegen Morgengrauen hören die Jägersleut’ tatsächlich das Grunzen eines Wildschweins, einer von ihnen schießt aus dem Fenster ins dunkle Gehölz. Dort finden sie die tödlich getroffene Jagdbeute: Camille Jenatzy – er hat die Geräusche des Keilers nachgeahmt, damit seine Waidkumpane zum Schuss kommen… Geschossen hat angeblich der Ehemann einer von Jenatzys Geliebten, heißt es. Und so erfüllt sich seine Prophezeiung, er würde dereinst in einem Mercedes sterben – es ist der Ambulanzwagen auf dem Weg ins Krankenhaus! mh