Das Beste aus 40 Jahren – Fahr-Stuhl des Grauens
- 05. Juni 2020
- Red. OLDTIMER MARKT
Für OLDTIMER MARKT öffnete die Polizei die Asservatenkammer – und präsentierte wahrhaft grauenvolle Mofa-Meisterwerke
Werfen Sie mit uns anlässlich der Jubiläen von OLDTIMER MARKT (40 Jahre) und OLDTIMER PRAXIS (30 Jahre) einen Blick zurück auf die schönsten Geschichten aus beiden Magazinen! In OLDTIMER MARKT 12/1992 präsentierten wir heiße Mofa-Meisterwerke aus der Asservatenkammer der Polizei
Der Artikel erschien erstmals in OLDTIMER MARKT 12/1992
Fahr-Stuhl des Grauens
Was Sie schon immer über frisierte Mofas wissen wollten
Gleich vorweg: Wenn Sie zu den Leuten gehören, die Malossi- Birnen für italienisches Fallobst halten und Kolbenfenstern mit Sidolin zu Leibe rücken, dann blättern Sie bitte schnell weiter! Es sei denn, Sie finden sich ganz zufällig in unseren "kriminellen Feuerstuhl-Fallstudien" wieder...
Es eilte! Ein zweites Mal in dieser Woche wollte Schlosserlehrling Dirk-Ulrich seinem Meister nicht mit Verspätung unter die Augen treten, lief seine Probezeit doch erst in einem Monat ab. Heute allerdings, das wusste Uli genau, würde er seinen Arbeitstag pünktlich beginnen, obwohl der Wecker erst ein Viertelstündchen später Alarm schlug.
Was dem 16-jährigen Morgenmuffel an jenem Donnerstag im Jahre 1973 die Gelassenheit schenkte, mit der er sein Nachtlager verließ, parkte wie gewöhnlich in der väterlichen Garage dicht neben der Rüsselsheimer Familienlimousine (nach Vaterns Geschmack sogar viel zu dicht daneben!) und ist im weitesten Sinne als Mofa zu bezeichnen. Nichts Besonderes, möchte man meinen, schließlich benutzte in den blumigen Siebzigern fast jeder dritte Schüler eine flotte "Fuffziger" für den 700 Meter langen Schulweg. Aber dennoch: Ulis Mofa ist anders als die anderen. Nicht etwa, dass sich sein Zweirad durch einen zahnbürstengepflegten Zylinderkopf, handpolierte Felgen oder gar durch eine gestalterisch wertvolle Lackierung aus dem Meer der Schnapsglasrenner abgehoben hätte — nein, es war vielmehr die außergewöhnliche Gesamtkomposition, die auch den unbedarften Betrachter zum Grübeln brachte.
Nur sehr selten erntete der Tuner-Nachwuchs die gebührende Anerkennung und ein Wort des Lobes. Im Gegenteil: Erhobene Zeigefinger und strafende Blicke lagen hier an der Tagesordnung.
Schon seit Tagen bemerkte Mutter Basowski ein sonderbares Verhalten an ihrem Sohn. Das Abendessen ließ er oft unberührt stehen, den Fernsehapparat ignorierte der Bub, ja nicht einmal fürs Fußballtraining nahm sich Uli Zeit. Stattdessen zog er sich in jeder freien Minute in die ungeheizten Kellerräume zurück, aus denen die besorgte Hausfrau alsbald merkwürdige Geräusche vernahm. "Als ob der Junge an der Wasserleitung feilt", beschreibt sie ihrem Mann das Geschähe aus der Tiefe. Nur einmal sei der Uli kurz in der Küche erschienen um sich ein Pflaster abzuholen.
Was weder Mutter noch Vater Basowski ahnten: Im Tiefparterre ihres Einfamilienhauses entstand unter den Händen ihres Sohnes (und gelegentlich unter fachkundiger Anleitung des Kollegen aus dem zweiten Lehrjahr) etwas, was einmal in die hessische (Polizei-)Geschichte eingehen sollte. Das Übel hatte begonnen, als Dirk-Ulrich einige Monaten zuvor sein erstes Lehrgeld zusammenraffte, das gute Bonanza-Rad für nur 20 Mark an einen Freund verkaufte und fast täglich die Großmutter besuchte (das brachte fünf Mark pro Visite).
Völlig easy: Nach der Chopper-Combinette würde sich selbst Peter Fonda umdrehen.
Und dann, nur wenige Tage später, stand es da, das blaue Rixe-Mofa: Baujahr 1970, mittelschwere Gebrauchsspuren, fehlende Vorderradbremse, ohne Schutzblech, dafür aber mit einer grünen Hercules-Gabel ausgestattet, die sich sichtlich bemühte, den viel zu großen Kreidler-Florett-Scheinwerfer nicht zu verlieren. Kurzum: "Ein erbärmlicher Schrotthaufen", wie Vater Basowski den stolzen Neuerwerb ebenso abwertend wie rücksichtslos bezeichnete, ohne auch nur ein einziges Mal genauer hingeschaut zu haben. Der Spross des Hauses jedenfalls stand deutlich über den Dingen, betrachtete die zweirädrige Bereicherung weniger als ultimative Endlösung denn als ausbaufähige Basis.
So füllten sich die Basowskischen Kellerregale schnell mit "total verölten Klamotten", von denen niemand so recht wusste, woher der Uli das "Zeug" eigentlich hat. Doch was bei den strapazierten Eltern nur Kopfschütteln und Unverständnis hervorrief, trieb dem Kenner Freudentränen in die Augen: Feinstes Kreidler-Van-Veen- Zubehör und der bullige 6,25-PS-Motorblock aus Kornwestheim lagerten da neben der eingemachten Erdbeermarmelade. Hochglanzpoliertes und Feingewuchtetes ruhte — in ölige Lumpen gehüllt — zwischen dem edlen 69er Kröver Nacktarsch und dem vollmundigen 64er Piesporter Goldtreppchen. Als sich zu all den kostbaren Zutaten noch eine leicht verschlissene Denfeld-Sitzbank, mehrere Bing-Vergaser, diverse Flacheisen und Kleinteile gesellten, ging der tüchtige Lehrling in Klausur.
Da wurde in filigraner Kleinarbeit ein Kolbenfenster gefeilt — kein Hundertstel zu wenig, damit die Einlass Phase optimal verlängert wurde, und kein Hundertstel zu viel, damit nicht etwa die Strömung abriss und die Frischgase wieder zurück in den Vergaser gedrückt wurden. Der ausrangierte Wohnzimmertisch mit Marmorplatte erwies sich als geeignete Schmirgelpapierunterlage beim Abziehen des Zylinderkopfes. Hier hätte sich als Alternative auch die Spiegeltür aus dem Badezimmer-Alibert angeboten, aber schlafende Hunde weckt man bekanntlich nicht...
Nach dem Vorbild des größeren 19er Bing-Vergasers gestaltete der talentierte Heimwerker das Innenleben des kleineren Pendants und dekorierte nach Anleitung seines Arbeitskollegen die Düsenbestückung um.
(An dieser Stelle möchte die Redaktion ausdrücklich darauf hinweisen, dass hier ein hochkriminelles Vergehen beschrieben wird und keine Tuning-Verfahren. Nehmen Sie also bitte wieder Vernunft an und legen das Werkzeug beiseite!)
"Von Sieg zu Sieg eilen", versprach Kreidler der jungen Kundschaft.
Zweifelte Dirk Ulrich bislang noch gelegentlich an seiner Entscheidung, das Schlosserhandwerk zu erlernen, so verloren sich die letzten Skrupel schnell, als es darum ging, den Monster-Motor in das zierliche Rixe-Rähmchen zu transplantieren. Die frisch erworbenen Fähigkeiten am Schweißgerät und drei rostige Flacheisen lösten dieses Problem mit nahezu genialer Perfektion. Der Rest war Routine: Sitzbank montieren, Kette aufziehen, neue Tankhalterungen schweißen, usw. Auf die Vorderradbremse verzichtete der Lehrling vorerst großzügig, schließlich hatte er die flotte Fünfziger zum Fahren gekauft und nicht zum Anhalten. Und außerdem: Wozu trägt man denn Clogs?
Mittwochabend, gegen 19 Uhr: Das dubiose Mofa-Potpourri wird unter größten Mühen und Anstrengungen durch die engen, verwinkelten Kellergänge ans Tageslicht gehievt. Jetzt wird sich zeigen, ob Schlosser-Novize Dirk-Ulrich Basowski ganze Arbeit geleistet hat! Mittwochnacht, 23.30 Uhr: Ebenso erschöpft wie zufrieden sinkt Uli in sein Bett. 35mal hatte er den widerspenstigen Zweitakter quer über den Garagenhof geschoben, bis ein erstes Lebenszeichen zu vernehmen war. Dann erfolgte die Vergasereinstellung, Versuche mit kleineren und größeren Ritzeln und das Einfüllen diverser Bierfläschchen (nicht in das Mofa!). Am Donnerstagmorgen traute Polizeiobermeister Alwin Walkenhorst seinen Augen nicht. Es sah aus wie ein Mofa, klang wie ein Mofa und roch wie ein Mofa, konnte aber kein Mofa sein! Der Tacho seiner Dienst-BMW pendelte sich bei 100 km/h ein, und dieses unbekannte Fahrobjekt beschleunigte noch. So nahm das Schicksal seinen Lauf: ordnungsgemäß verfolgen, überholen, Kelle zeigen, anhalten, Standpauke, Formalitäten und — für Uli sicherlich das Schlimmste — Mofa beschlagnahmen. Ein weiteres Prachtexemplar für die Asservatenkammer der hessischen Polizeischule, wo es noch heute zahlreiche lernfähige Jungpolizisten erfreut. Falls der werdende Ordnungshüter an der schnellen Fünfziger (der Leistungsprüfstand bescheinigte ihr 13,5 PS) keinen Spaß findet, hilft vielleicht Peter Fondas Alptraum-Chopper weiter: die langbeinige Zündapp Sport-Combinette mit unzähligen liebevollen Detaillösungen in makellosem Finish.
Womit wir auch schon unsere zweite "Feuerstuhl-Fallstudie" angeschnitten hätten. Ganz anders als Dirk-Ulrich Basowski legte Ralf Schröder überhaupt keinen Wert auf hohe Geschwindigkeiten. Möglichst bequem wollte er reisen, und dementsprechend stattete der gewiefte Gymnasiast seine "Combi" aus. Für kurze Vorderradgabeln hatte der Obertertianer dabei ebenso wenig übrig wie für grelle Farben und Kunstledersitzbänke. Sein Vater, freischaffender Künstler, hatte ihm in seiner unendlichen Güte die betagte Zündapp überlassen, war er es doch leid, den Chauffeur für seinen Filius zu spielen. Jahrelang hatte die Combinette treue Dienste geleistet, in den letzten Jahren allerdings fristete das Maschinchen ein eher trauriges Dasein in der feuchten Gartenlaube. "Du musst sie dir nur ein wenig herrichten", orakelte Senior Schröder, "der Auspuff könnte etwas kaputt sein". Was Herbert Schröder als "etwas kaputt" bezeichnete, waren die zerfressenen Rudimente des Krümmers und ein rostbraunes Endrohr ohne Schalldämpfer. Doch hier wusste das Künstlerkind Rat: Warum sollte ein leerer Fünfliter-Universalverdünnungs- Kanister aus Vaters Atelier nicht dieselbe Wirkung erzielen? Mit einer maßgenauen Auslass Bohrung versehen und säuberlich mit Stahlwolle gefüllt, befestigte der junge Restaurator den schmucken Behälter mit Blumendraht am Zylinder. Die Abgase suchten sich jetzt ihren Weg durch den perforierten Kanister Deckel ins Freie. Ebenso findig löste Ralf Schröder das Problem der geschmacklosen Kunstledersitzbank: Das abgeschnittene Bein einer ausrangierten Cordhose fügte sich — locker über den alten Plastikbezug genäht — harmonisch in das Gesamtbild.
Oftmals konnten die schnellen Fünfziger nur durch hubraumstarke Maschinen (meistens mit grün-weißer Vollverkleidung) gestoppt werden
Nicht ganz so leicht hingegen gestaltete sich das Umrüsten der Vorderradgabel. Erst nach längerem Suchen entdeckte der Schüler zwei derbe Eisenrohre, die seinen hohen Ansprüchen genügten. Man wollte ja schließlich keinen Pfusch! Die Schweißarbeiten an der zukünftigen Choppergabel besorgte ein hilfsbereiter Nachbar ("Soll da etwa noch ein Schutzblech dran?"), um die aufwendige Lackierung kümmerte sich Ralf Schröder selbst.
Und dann war sie auch schon so gut wie fertig, die neue Chopper-Sport-Combinette. Noch das filigrane Gitter vorm Scheinwerfer installiert, ein durchgestyltes Rücklicht hinter der Cord-Sitzgruppe angebracht, und das Easy-Rider-Feeling konnte beginnen. Leider währte auch Ralf Schröders Freude am Besonderen nicht lange. Seine "Partnerschaft" endete übrigens in der Gießener Fußgängerzone, wo er kurz nach Geschäftsschluss "nur mal eben auf einen Sprung in die Eisdiele wollte". Als der 17jährige dann, mit einem Vanille-Heidelbeer-Hörnchen ausgestattet, zu seiner Combinette eilte, hockten bereits zwei seriöse Interessenten in grüner Uniform vor dem Objekt der Begierde und ließen ihrer Bewunderung freien Lauf. Rest: siehe oben!
Falls Sie, liebe Leser, ähnliche Erfahrungen mit Ihren 50-Kubik-Lebenswerken gesammelt haben sollten, schicken Sie uns schnell ein Foto Ihres "Fahrstuhl des Grauens". Die originellsten "Böcke" aus den Sechzigern und Siebzigern präsentiert MARKT dann in einer späteren Ausgabe.
Anmerkung der Redaktion: der angekündigte zweite Teil erschien vier Ausgaben später in Heft 3/1993 und wird zu einem späteren Zeitpunkt auch in unsere Highlight-Sammlung aufgeommen
- Text Martin Brüggemann
- Fotos Andreas Beyer
Rollentausch: Polizist Alwin Walkenhorst testet die Bonsai-DKW aus der Asservatenkammer.
Das Beste aus 40 Jahren
Wir meinen, dass ein Wiedersehen mit einigen unserer Storys Freude machen kann. Dieser Artikel stammt aus OLDTIMER MARKT 12/1992. Die bisher erschienenen Artikel finden Sie hier – weitere sind bereits in Planung. Schauen Sie doch ab und zu mal wieder vorbei!